Der Mann, der ins KZ einbrach
weiter.
Kurz darauf bemerkte ich, dass Bewaffnete auf meiner Fährte waren. Ich befürchtete, dass es sich um Italiener handelte. Hatte jemand mich verraten? Ich floh in einen großen Olivenhain und kauerte mich hin, um mich zu verstecken, doch es war hoffnungslos. Meine Verfolger begannen zu schießen. Ich war umzingelt und hatte keine Möglichkeit zur Flucht. Hätte ich Widerstand geleistet, hätten sie mich getötet, also kam ich mit erhobenen Händen heraus. Sie fesselten mich und führten mich zu einem Lkw. Wieder war ich in Gefangenschaft.
Die Fahrt war lang. Ich wurde in ein überfülltes Lager gebracht, in dem alliierte Kriegsgefangene, Briten und Südafrikaner, zusammen mit griechischen Partisanen festgehalten wurden. Es war ein entsetzlicher Ort, der aus Biwakzelten bestand, die auf einem Acker errichtet worden waren. Es regnete viel; es schneite sogar. Viele Gefangene litten unter Ruhr und anderen Seuchen. Als ich eintraf, gab es dort keine Latrinen, sodass die Gefangenen ihr Geschäft dort erledigten, wo es gerade ging, und sie waren dermaßen geschwächt, dass das überall sein konnte. Dieser Acker war ein schrecklicher Ort. Nicht umsonst nannten die Gefangenen ihn »Ruhr-Acker«. Schließlich gaben die Italiener nach, und ein Graben wurde ausgehoben, drei Meter lang und gut einen Meter tief. Schon bald war er voll, und mehrere Kubikmeter menschlicher Ausscheidungen stanken buchstäblich zum Himmel.
Für Peinlichkeiten war kein Raum. Ich hatte in der Wüste schon Ruhr gehabt und kannte sie gut, die Übelkeit, die Magenschmerzen, den Drang. Man saß dicht nebeneinander, eine Reihe von Hinterteilen, die über die Kante des Grabens gereckt wurden. Ich erinnere mich an einen Jungen mit schmalem Gesicht, der in fürchterlichem Zustand war und neben mir kauerte. Irgendwie verlor er das Gleichgewicht und rutschte die Kante hinunter in das Loch. Der arme Kerl stand bis zur Taille in der Scheiße.
»Das ist schon das zweite Mal heute«, sagte er.
Danach wurde ich nach Norden verfrachtet und in einem großen Lagerhaus bei Patras gefangen gehalten. Wir bekamen nur Wasser und Brot, aber wenigstens wurden wir von einem Posten herausgelassen, wenn wir zur Latrine mussten. Er stand daneben und schaute zu, während wir über einem schmalen Bach kauerten. Die Bedingungen waren ein wenig besser, aber mein Glück hielt nicht an.
8. Kapitel
W ir wurden auf ein Schiff gebracht. Unter Deck war es warm, eine angenehme Abwechslung von dem kalten Lager, und diesmal mussten wir nicht im Laderaum fahren. An Bord waren auch italienische Soldaten, die auf Heimaturlaub gingen. Einer versuchte mit uns zu reden und fragte erst auf Italienisch, dann auf Französisch, wer wir seien und woher wir kämen. Weit kam er damit nicht.
Einmal torpediert zu werden hatte mir gereicht, aber wenn ich mir die Karten heute anschaue, glaube ich, dass wir die sichere Route genommen haben. Wir blieben an der griechischen Küste landwärts der Inseln Kefalonia und Lefkada, ehe wir in die Straße von Korfu einfuhren und in rascher Fahrt durch die Straße von Otranto den Absatz des italienischen Stiefels erreichten.
Wir verbrachten die Reise auf dem Boden sitzend. Nachts sang ein Ire mit weicher Stimme ein trauriges Lied, und zwei Südafrikaner erzählten von ihrer Heimat. Schließlich erreichten wir einen Hafen voller Wachtposten, vielleicht Bari oder Brindisi, und wurden zu einem von Bäumen umschlossenen Stoppelfeld geführt. Dort waren bereits Hunderte von uns. Es gab keinen Stacheldrahtzaun, sodass mehr Soldaten gebraucht wurden, um uns zu bewachen. Einige von uns befanden sich in einem schrecklichen Zustand; Gesichter und Gliedmaßen waren vom Vitaminmangel angeschwollen.
Man gab uns nur wenig zu essen. Diejenigen, die noch bei Kräften waren, brachen schon bald einen Streit darüber vom Zaun. Wir brüllten und drohten den Posten mit der Faust, bis die Sache aus dem Ruder lief. Wir konnten von Glück sagen, dass niemand erschossen wurde. Am Ende bekamen die Italiener die Lage wieder in den Griff, und fünf von uns wurden von den anderen abgesondert. Sie ketteten uns mit Händen und Füßen an Bäume, und wir verbrachten fluchend einen erbärmlichen Tag. Ich war gewohnt zu bestimmen, wo es langging. Jetzt war ich angekettet wie ein Tier. Dass ich voller Erwartung, aufregende Abenteuer zu erleben, mit der Otranto von Liverpool ausgelaufen war, schien eine Ewigkeit her zu sein. Drei oder vier Tage ließ man uns auf dem Acker; dann
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