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Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
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Propeller, während unter uns der Boden vorbeijagte, als wir in die Luft stiegen. Wir drehten eine Runde um das Feld; dann nahmen wir Kurs in Richtung Heimat.
    In Nürnberg hatte ich gesehen, was Luftangriffe mit einer Stadt anstellen können, und ich hatte Angst, was den Zustand der britischen Städte anging. Als wir den Ärmelkanal in geringer Höhe überflogen, sah ich einige Dinge, die keine guten Vorzeichen waren. Entlang der gesamten Küste lagen Schiffswracks und Trümmer, und so weit ich sehen konnte, trieben Öllachen auf dem Meer. Dann wurde das Wasser klar, und in weiter Ferne erblickte ich im Dunst die weißen Klippen Südenglands. Mit einem Mal wusste ich, dass die Deutschen nicht alles zerbombt haben konnten. Ich kam nach Hause.
    Schon bald sah ich grüne Felder unter mir, die von Landstraßen und Hecken kreuz und quer durchschnitten wurden. Ich lag reglos im Bug der Maschine, und endlich kam ein Flugplatz in Sicht. Wir gingen tiefer, bis das Gras zu einem verschwommenen Grün wurde, das meinem Gesicht immer näher kam. Dann setzten wir mit einem heftigen Stoß auf.
    Wir kamen zum Stillstand, und die Luke wurde geöffnet. Bevor wir gehen konnten, bestand der Kommandant darauf, dass wir den Rumpf mit einem Stift signierten, ehe wir uns verabschiedeten. Er musste zahllose Kampfeinsätze geflogen sein, aber die Gefangenen zurück nach Hause zu bringen bedeutete ihm wirklich etwas.
    Meine Ohren klingelten noch von dem Fluglärm, als ich einen merkwürdig vertrauten Laut hörte, den ich viele Jahre lang nicht mehr vernommen hatte. Es waren die eigentümlichen Stimmen von Engländerinnen, und sie servierten Tee.
    Ich wurde zu einem Kasernenbau gebracht und konnte endlich duschen. Ich erhielt Socken, Unterwäsche und eine frische Uniform aus zweiter Hand sowie ein Paar schwerer Lederstiefel mit genagelter Sohle und Stahlrändern an den Absätzen. Ich besitze sie noch heute. Ich blieb nicht lange. Ich hatte lange nicht mehr der militärischen Disziplin unterstanden und wartete nicht auf Erlaubnis, nach Hause zu gehen. Ich hinterließ eine Nachricht in der Kaserne, verließ das Camp und nahm einen Zug Richtung London.
    Am Bahnhof Liverpool Street stieg ich um und fuhr nach Essex, ohne auch nur einen Halfpenny zu zahlen und ohne die Schäden zu sehen, die die Stadt erlitten hatte. Ich wollte zurück zu den Menschen, die mir lieb und teuer waren. Es war einen oder zwei Tage vor der deutschen Kapitulation, und ich war beinahe fünf Jahre nicht mehr zu Hause gewesen.
    Am Bahnhof North Weald stieg ich aus. Als ich über die Mauer auf den Kohlenlagerplatz blickte, sah ich einen Mann mit einem Wagen, der volle Kohlesäcke ablud. Ich erkannte ihn sofort als meinen Onkel Fred, den Kohlehändler, ein alter Fußballer, der früher für Fulham gespielt hatte. Ich sprang über die Mauer. Was Onkel Fred sagte, als er mich lebend wiedersah, kann man hier nicht abdrucken. Er ließ alles stehen und liegen, um mich das Stück vom Bahnhof nach Hause zu fahren. Unterwegs redete er ohne Unterbrechung auf mich ein. Nach all den Jahren kam ich auf einem Kohlewagen zurück zum Hof. Am Tor machte Onkel Fred kehrt, damit ich allein zum Haus gehen konnte.
    Ich ging an der gelben Ligusterhecke vorbei und begann den dreißig Meter langen Marsch zwischen den Blumenbeeten hindurch zu dem Haus mit Doppelfront, in dem ich aufgewachsen war. Dieses Haus hatte irgendwo in meinem Kopf weitergelebt, obwohl Gedanken an daheim in der Wüste und in den Lagern eine Last gewesen waren. Ich hatte nicht nach Hause zurückgekonnt, weshalb hätte ich mich da mit Erinnerungen quälen sollen? Jetzt konnte ich sie wieder genießen.
    Ich hatte niemandem Bescheid gegeben, dass ich kam. Ich klopfte an die große Eichentür. Es dauerte, bis sie von einer Frau geöffnet wurde, die zwar vertraut aussah, aber müde und erschöpft wirkte. Sie schnappte nach Luft, als sie mich sah, und ich sagte zu ihr: »Mutter, was siehst du alt aus.«
    Wie sehr habe ich mir später gewünscht, ich könnte diese Worte zurücknehmen. Noch in der Tür fiel sie mir um den Hals und hielt mich so fest, als wollte sie mich nie wieder loslassen. Ich war zu Hause, aber wie musste ich ausgesehen haben. Als ich mich freiwillig gemeldet hatte, habe ich um die achtzig Kilo gewogen. Als ich nach Hause kam, waren es knapp über fünfzig.
    Meine Mutter war zurückgelassen worden und hatte sich allein durchschlagen müssen, denn mein Vater war ebenfalls in Kriegsgefangenschaft geraten. Man hatte ihr

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