Der Mann, der ins KZ einbrach
aber jetzt war ich wieder allein. War ich wirklich befreit? Der Flugplatz wirkte verlassen. Andere Kriegsgefangene sah ich nicht. Im Grunde stand ich auf einem Acker. Wieder musste ich zusehen, wie ich überlebte.
Ich streifte um den Flugplatz herum, bis ich am Rand des Geländes ein verlassenes Haus entdeckte. Ich ging hinein, denn es bot mir wenigstens ein Dach über dem Kopf, aber ich kann mich an keine Betten erinnern. Ich rollte mich unter einer Decke am Boden zusammen. Zu Fuß hatte ich Hunderte von Kilometern hinter mich gebracht und von der Hand in den Mund gelebt. Selbst in meinen trübsten Stunden hatte ich dabei auf eine glorreichere, erhebendere Befreiung gehofft. Ich durchsuchte das Haus nach etwas Essbarem, fand aber nicht viel. Von Flugzeugen war keine Spur zu sehen. Ich saß fest.
Während ich wartete, fragte ich mich, ob meine Kameraden in ein anderes Lager gebracht worden waren oder ob sie immer noch mit vorgehaltener Waffe gezwungen wurden, voranzumarschieren. Jahre sollten vergehen, bis ich erfuhr, dass die Posten sie immer weiter getrieben hatten, bis sie mitten in die Amerikaner hineinrannten. Es heißt, dass einer der Jungs seinen Befreiern eine Waffe entriss und den deutschen Unteroffizier Mieser auf der Stelle niederschoss. Mieser war längst nicht der Schlimmste gewesen, aber ich könnte es verstehen.
Was die KZ -Häftlinge anging, war ich der Überzeugung, dass die Männer, die ich gekannt hatte – darunter auch Ernst –, tot sein mussten. Aber ich hatte schon zu viele Leichen gesehen. Ich dachte nicht mehr an sie.
Ich setzte mich auf die Mauer am Rand des verwilderten Gartens und hielt nach Flugzeugen Ausschau. Ich wartete und wartete, aber es kam keins. Vielleicht hatte man mich vergessen. Nach einer ganzen Weile kam eine kleine Gruppe junger deutscher Mädchen vorbei. Ich ging das Risiko ein und sprach sie an. Zu meinem Erstaunen kamen sie zu mir, um zu reden. Die junge Frau, die das Wort führte, war blond, ungefähr zweiundzwanzig und sehr schön. Sie sahen sofort, dass ich fremd war, und wollten wissen, woher ich kam.
Ich erklärte ihnen, dass ich Engländer und ein ehemaliger Kriegsgefangener sei, der darauf warte, nach Hause geflogen zu werden. Wo ich gefangen gehalten worden war, sagte ich ihnen nicht. Auschwitz kam mir schon jetzt wie ein Ort aus einem anderen Universum vor. Meine Erlebnisse konnte ich nicht ins normale Leben mitnehmen. Selbst nach Deutschland gehörten sie nicht mehr.
Wir unterhielten und eine Zeitlang radebrechend, und ich bat sie um etwas zu essen. Sie gaben mir ein Brötchen, das ich dankbar annahm und auf der Stelle verschlang. Wenn ich daran zurückdenke, erscheint es mir sehr gut möglich, dass sie mir ihr Mittagessen geschenkt haben.
Wir befanden uns in von Alliierten besetztem Gebiet, aber es waren nicht besonders viele Soldaten in der Nähe. Der Krieg war noch nicht vorüber, und die jungen Frauen gingen ein Risiko ein, als sie so freundlich zu mir waren. Sie waren neugierig, und nachdem wir eine Weile gesprochen hatten, schauten sie sich das verlassene Haus an, in dem ich vorerst wohnte. Das Mädchen, das am meisten redete, gab mir ihre Adresse in Nürnberg. Ihr Name war Gerdi Herberich. Ich versprach, ihr zu schreiben und ihr zu danken, wenn ich wieder zu Hause wäre, und ihr ein Paket mit Essen zu schicken. Leider muss ich gestehen, dass ich es nie getan habe. Nach dem Krieg geriet meine Welt völlig aus den Fugen, und ich hatte andere Dinge im Kopf.
Die freundliche Atmosphäre in meiner Unterkunft wurde bald durch die Ankunft einiger Amerikaner gestört, die weitere ehemalige Kriegsgefangene brachten. Die Mädchen brachen eilig auf. Ich sah sie nie wieder und hörte auch nie mehr von ihnen. Dass sie mir das Brötchen geschenkt hatten, war nur eine Kleinigkeit, aber es war eine menschliche Geste gegenüber einem feindlichen Soldaten, die für die Mädchen nicht ungefährlich war. Sie hatten nichts dafür haben wollen.
Die Stimmung wurde rauer, aber die Neuankömmlinge waren ein gutes Zeichen, dass ich hier richtig war. Ich hatte aus einem anderen leer stehenden Haus in der Nähe vier Konservendosen gestohlen. Eine behielt ich für mich und gab den Amerikanern die anderen. Die Dosen waren ohne Etikett. Als die Yanks sie öffneten und Büchsenfleisch darin entdeckten, erwartete ich das Gleiche zu finden. Doch in meiner Dose war nur ein wässriges Gemüse. Ich hätte enttäuschter nicht sein können, aber es half mir, die Warterei zu
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