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Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
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konnten es nicht lassen. Natürlich wollten sie nicht wissen, wie es wirklich gewesen war; sie wollten nur Heldengeschichten hören. Sie wussten nichts von Konzentrationslagern, und wenn ich davon sprach, drang ich nicht zu ihnen durch. Es passte nicht zu dem, was sie wussten oder wissen wollten. Den Leuten war es schlicht und einfach unangenehm, davon zu hören, und meist fehlten ihnen die Worte. Ich nannte es das »Syndrom der glasigen Augen«.
    Niemand in der Heimat begriff, was wir Soldaten durchgemacht hatten. Einige redeten völligen Blödsinn. Die Frage, die mich am meisten beleidigte, lautete: »Wie viele Deutsche hast du getötet?« Wir waren gezwungen zu tun, was wir taten, und auf diese Weise darüber zu reden, raubte allem seinen Wert. Die Leute forderten uns auf, mit Dingen zu prahlen, die wir vergessen wollten. Die feindlichen Soldaten, die wir getötet hatten, hatten den höchsten Preis bezahlt, und im prahlerischen Ton über sie zu reden, zeugte von mangelndem Respekt.
    Einer der Stammgäste in den Wirtschaften – ein Metzger aus Epping, der nicht gedient hatte – sagte mir tapfer, er hätte seine Frau mit einem Messer erstochen, wäre Großbritannien von den Deutschen besetzt worden, damit sie ihnen nicht in die Hände fiel. Die Bemerkung war eindeutig nicht für die Ohren seiner Frau bestimmt. Als ich dem Ehepaar kurz darauf im Zug begegnete, wand der Mann sich wie ein Wurm. Ich brauchte kein Wort zu sagen.
    Auschwitz erschien bereits wie ein ferner Planet, aber die Träume brachten ein paar Gesichter zurück. Ich hatte keine Möglichkeit, mich nach Hans zu erkundigen, aber bei Ernst war es anders. Ich musste Susanne in Birmingham finden und ihr sagen, was ich wusste. Mittlerweile war es mir gelungen, offiziell Urlaub zu erhalten, und ich hatte ein paar Wochen übrig. Mein Vorhaben war töricht und unbedacht.
    Ich weiß heute nicht mehr, wie ich den Kontakt herstellte – ob ich ihr schrieb, ob ich eine Telefonnummer herausfand oder ob ich einfach unerwartet vor ihrer Haustür stand. Ich wusste, dass sie Susanne hieß, und mit ihr war der Nachname Cottrell verbunden. Vielleicht hatte Ernst mir diesen Namen von Anfang an genannt; ich weiß es nicht mehr. Ich ging damals davon aus, dass sie von der Familie adoptiert worden war, die sie vor dem Krieg aufgenommen hatte, und für mich hieß sie immer Susanne Cottrell. Die Geschichte mit den Zigaretten gehörte zu den wenigen Dingen, über die meine Mutter sprach, aber nur sehr kurz. Sie freute sich, dass ich einige Zigaretten erhalten hatte und dass sie mir von Nutzen gewesen waren. Sie wusste nichts über die Lager, und ich ging ihr gegenüber niemals näher darauf ein.
    Ich glaube, ich habe ich mich in Birmingham mit Susanne getroffen, aber sicher bin ich mir nicht mehr. Ich war nicht in der Verfassung, mich mit anderen Menschen zu treffen, und ich hatte mir nicht einmal überlegt, was ich ihr sagen wollte. Wegen des Krieges und der Gefangenschaft fehlte mir der nötige Takt, jemandem eine schlechte Neuigkeit schonend beizubringen. Eigentlich wusste ich gar nicht, warum ich sie überhaupt aufsuchte. Sie stand auf meiner Liste, zusammen mit Les Jacksons Familie und anderen, die ich später fand.
    Ich glaube, ich ging zu dem Haus, in dem Susanne wohnte, aber meine Erinnerung daran ist sehr undeutlich. Wenn ich mich recht entsinne, gingen wir zusammen spazieren, denn ich weiß noch, dass wir im Freien waren. Sie war vielleicht zweiundzwanzig – freundlich, aber schüchtern, und sehr zierlich. Noch immer sprach sie mit Akzent.
    Es war eine qualvolle Begegnung. Ich wollte sie wissen lassen, dass die Zigaretten bis ins Lager durchgekommen waren, dass Ernst sich sehr gefreut hatte, als er sie bekam, und dass sie ihm wahrscheinlich vorübergehend Hilfe und Schutz verschafft hatten. Das alles hätte ich ihr sagen können, falls ich es über die Lippen bekam, aber wie sollte die Geschichte dann weitergehen? Ein glückliches Ende gab es nicht.
    Ich hatte Visionen vom Todesmarsch und den gefrorenen Leichen. Kilometerweit waren wir über Leichen hinweggestiegen. Alles sprach dafür, dass Ernst zusammen mit den anderen ermordet worden war. Wenn er den Todesmarsch überlebt hatte, war er wahrscheinlich in ein Vernichtungslager getrieben und dort umgebracht worden. Ich konnte Susanne keine Hoffnungen machen, konnte aber auch nicht mit Bestimmtheit sagen, dass Ernst tot war. Ich hatte ihn weder sterben sehen noch seine Leiche erblickt.
    Plötzlich wurde mir

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