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Der Mann, der kein Mörder war

Der Mann, der kein Mörder war

Titel: Der Mann, der kein Mörder war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hjorth , Rosenfeldt
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der Raum eher den Eindruck, als würde hier ein Realschulrektor in einer von Haushaltskürzungen betroffenen Kleinstadt arbeiten, nicht einer der ranghöchsten Polizeichefs in Schweden. Manche Kollegen fanden es merkwürdig, dass der Mann, der die Mordkommission der schwedischen Reichskriminalpolizei leitete, der Welt nicht zeigen wollte, wie weit er es gebracht hatte. Andere zogen den Schluss, dass ihm sein Erfolg einfach nicht zu Kopf gestiegen war. Die Wahrheit war schlichter und weniger ehrenhaft. Torkel hatte einfach keine Zeit. Sein Beruf verlangte ihm viel ab, und er war ständig auf Reisen. Außerdem hatte er keine Lust, seine spärliche Freizeit ausgerechnet mit der Einrichtung eines Büros zu verschwenden, in dem er sich nur selten aufhielt.
     
     
    «Aus Västerås», ergänzte Vanja und nahm ihm gegenüber Platz. «Ein sechzehnjähriger Junge wurde ermordet.»
    Torkel sah, dass Vanja es sich auf dem Stuhl bequem machte. Offenbar sollte er dieses Telefonat nicht allein führen. Torkel nickte und griff zum Hörer. Seit seiner zweiten Scheidung hatte er das Gefühl, dass für ihn eingehende Anrufe nur von schrecklichen, plötzlichen Todesfällen handelten. Es war mehr als drei Jahre her, dass sich zuletzt jemand erkundigt hatte, ob er rechtzeitig zum Essen zu Hause sein würde, oder irgendetwas anderes, erfrischend Banales von ihm wissen wollte.
    Er kannte den Namen, Kerstin Hanser, Leiterin der Kripo Västerås. Er hatte sie vor vielen Jahren auf einer Fortbildung kennengelernt. Ein sympathischer Mensch und mit Sicherheit eine kompetente Chefin, war sein damaliger Eindruck gewesen, und er erinnerte sich daran, dass er sich gefreut hatte, als er von ihrer Beförderung gelesen hatte. Jetzt klang ihre Stimme gepresst und angestrengt.
    «Ich brauche Hilfe und habe beschlossen, die Reichsmordkommission anzufordern, und am liebsten wäre es mir, wenn du kommen könntest», hörte er sie sagen.
    «Glaubst du, das wäre möglich?», fuhr sie beinahe flehend fort.
    Einen kurzen Moment lang überlegte Torkel, ob er sich eine Ausrede einfallen lassen sollte. Er und sein Team waren gerade von einem äußerst unangenehmen Fall in Linköping zurückgekehrt. Aber er wusste, dass Kerstin Hanser nur dann anrief, wenn sie dringend Hilfe benötigte.
    «Wir lagen von Anfang an falsch, und es besteht das Risiko, dass wir den Karren nun völlig gegen die Wand fahren. Ich brauche wirklich deine Unterstützung!», fügte sie hinzu, als hätte sie seine Zweifel hören können.
    «Worum geht es?»
    «Ein Sechzehnjähriger. Eine Woche lang vermisst. Tot aufgefunden. Ermordet. Brutal.»
    «Schick mir alle Unterlagen per Mail zu, ich sehe mir den Fall an», antwortete Torkel und beobachtete Vanja, die inzwischen aufgestanden war und den Hörer des anderen Telefons abgehoben hatte.
    «Billy, komm mal in Torkels Büro. Wir haben zu tun», sagte sie und legte wieder auf. Als hätte sie Torkels Antwort bereits gekannt. Das schien sie immer zu tun, und es machte Torkel einerseits stolz, andererseits ärgerte es ihn auch ein bisschen. Vanja Lithner war seine engste Verbündete im Team. Obwohl sie gerade erst dreißig geworden war, hatte Vanja sich in den vergangenen zwei Jahren, die sie mit ihm zusammengearbeitet hatte, in eine professionelle Polizistin verwandelt, und in Torkels Augen war es fast schon irritierend, wie gut sie war. Ein so guter Polizist wäre er selbst gern mit Anfang dreißig gewesen. Er lächelte sie an, nachdem er das Gespräch mit Kerstin Hanser beendet hatte.
    «Noch bin ich hier der Chef», stellte er klar.
    «Ich weiß, ich rufe doch nur das Team zusammen, damit du unsere Einschätzung des Falls hören kannst. Anschließend triffst wie immer du die Entscheidungen», entgegnete sie mit einem Augenzwinkern.
    «Als ob ich eine Wahl hätte, wenn du dich erst mal in etwas verbissen hast», antwortete er und stand auf. «Dann müssen wir uns wohl ans Packen machen. Wir fahren nach Västerås.»
     
     
    Billy Rosén fuhr routiniert die E18 entlang, wie immer zu schnell. Torkel hatte es schon lange aufgegeben, etwas zu sagen. Stattdessen konzentrierte er sich auf die Unterlagen zum Mordfall, die sie inzwischen erhalten hatten. Der Bericht war ziemlich dürftig, und der leitende Ermittler, Thomas Haraldsson, schien nicht gerade übereifrig zu sein. Wahrscheinlich würden sie ganz von vorn anfangen müssen. Torkel wusste, dass dies einer von jenen Fällen war, auf die sich die Boulevardpresse mit Vorliebe stürzte. Dass die

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