Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der kein Mörder war

Der Mann, der kein Mörder war

Titel: Der Mann, der kein Mörder war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hjorth , Rosenfeldt
Vom Netzwerk:
«Ja, ist er. Was wollen Sie von ihm?»
    «Ist er krank?», fragte Vanja ausweichend.
    «Nein, ich wüsste nicht … Wie kommen Sie darauf?»
    «Weil er nicht in der Schule ist?»
    Clara fiel auf, dass sie nicht einmal darüber nachgedacht hatte. Im Krankenhaus arbeitete sie in unregelmäßigen Schichten, und sie kümmerte sich immer weniger um den Schulbesuch ihres Sohnes. Er kam und ging, wie es ihm gerade passte. Tat meistens das, was er wollte.
    Im Grunde genommen immer.
    Sie hatte die Kontrolle verloren. So war es. Sie musste es sich nur noch eingestehen. Völlig verloren, in weniger als einem Jahr. Das war ganz natürlich, so stand es in den Ratgebern, die sie sich ausgeliehen hatte, und in den Zeitschriften, die sie las. In diesem Alter sagten sich die Jungen von ihren Eltern los und begannen zögernd, die Welt der Erwachsenen zu erforschen. Man sollte ihnen mehr Freiräume lassen, die Zügel lockern, sie aber dennoch fest im Griff behalten und ihnen vor allem die Grundsicherheit vermitteln, dass man immer für sie da war. Leonard war jedoch nie zögerlich gewesen. Er machte einfach den Absprung, von einem Tag auf den anderen. Als sei er von einem Schwarzen Loch verschluckt worden. Plötzlich war er verschwunden, und auf der ganzen Welt gab es keine Zügel, die sich so weit lockern ließen. Clara existierte, aber er brauchte sie nicht mehr. Überhaupt nicht mehr.
    «Er hat heute ein bisschen verschlafen. Was wollen Sie von ihm?»
    «Können wir bitte mit ihm sprechen?», fragte Billy nachdrücklich. Vanja und er betraten den Flur.
    Hier drinnen hörte man noch deutlicher das Bassgewummer, das sie bereits vernommen hatten, als sie auf den L-förmigen Bungalow zugegangen waren. Hip-Hop. Billy kannte das Lied. DMX . « X Gon’ Give it to Ya» von 2002. Oldschool.
    «Ich bin immerhin seine Mutter und würde schon gern wissen, was er angestellt hat.»
    Vanja registrierte, dass die Mutter keineswegs wissen wollte, weshalb die Polizei ihren Sohn sprechen wollte. Nein, sie ging sofort davon aus, dass er etwas angestellt hatte.
    «Wir würden gern mit ihm über Roger Eriksson sprechen.»
    Der tote Junge. Warum wollte die Polizei mit Leonard über den toten Jungen sprechen? Jetzt krampfte sich ihr Magen endgültig zusammen. Clara nickte nur schweigend, trat zur Seite und ließ Vanja und Billy herein. Sie verschwand nach links durch das Wohnzimmer und ging zu einer geschlossenen Tür. Einer Tür, die sie nicht öffnen durfte, ohne anzuklopfen, was sie jetzt auch tat.
    «Leonard. Die Polizei ist hier und möchte mit dir sprechen.»
    Billy und Vanja warteten im Flur, der eng und ordentlich war. An der rechten Wand Garderobenhaken, an denen drei Jacken auf Bügeln hingen, von denen zwei offenbar Leonard gehörten. Am vierten Haken baumelte eine einsame Handtasche. Darunter stand ein kleines Schuhregal mit vier Paar Schuhen. Zwei davon Turnschuhe. Reebok und Eckō, registrierte Billy. Auf der gegenüberliegenden Seite war eine kleine Kommode mit einem Spiegel darüber. Abgesehen von einem Deckchen und einer Vase mit Strohblumen stand nichts darauf. Kurz dahinter endete der Flur, und das Wohnzimmer begann. Clara klopfte erneut an die geschlossene Tür.
    «Leonard. Sie wollen mit dir über Roger sprechen. Jetzt komm schon raus.»
    Sie klopfte noch einmal. Im Flur warfen Billy und Vanja sich einen Blick zu und trafen stillschweigend eine Entscheidung. Sie putzten ihre Schuhe an der Fußmatte ab und gingen durch das Wohnzimmer. Vor der Küchentür stand ein schlichter Esstisch auf einem Teppich, braune Vierecke auf gelbem Grund, und davor, mit dem Rücken zum Tisch, ein Sofa. Ein zweites Sofa stand gegenüber, dazwischen ein niedriger Couchtisch aus hellem Holz. Birke, vermutete Vanja, ohne sich wirklich auszukennen. An der Wand hing ein Flachbildfernseher, und auf einem flachen Möbel darunter stand ein DVD -Spieler. Aber nirgendwo waren DVDs zu sehen, auch keine Spielkonsolen oder Spiele. Das Zimmer war aufgeräumt und sauber. Es sah nicht so aus, als habe kürzlich jemand auf diesen Sofas gesessen. Ordentlich aufgereihte Zierkissen, eine zusammengelegte Decke, zwei Fernbedienungen an der Seite akkurat nebeneinander platziert. Hinter dem zweiten Sofa verlief eine Bücherwand, Bücher mit festem Einband und Taschenbücher in perfekten Reihen, die nur hier und dort von sorgsam abgestaubtem Nippes unterbrochen wurden. Vanja und Billy gingen zu Clara, die langsam unruhig wurde.
    «Leonard, mach jetzt auf!» Doch keine Reaktion.

Weitere Kostenlose Bücher