Der Mann, der kein Mörder war
wollte ihn jemand terrorisieren.»
Sowohl Vanja als auch Billy beugten sich vor. Der Zeitpunkt war wichtig, denn bisher hatten sie lediglich Informationen über den Weg des Opfers
vor
seinem Verschwinden erhalten. Jetzt kam plötzlich noch jemand ins Bild. Einer, der Roger terrorisiert hatte. Das fing doch gut an. Vanja verfluchte noch einmal, dass sie das alles erst als Zweite erfuhr.
«Ein Moped?» Nun ergriff Billy an Vanjas Stelle das Wort, was ihr vollkommen recht war.
«Ja.»
«Erinnerst du dich noch an Einzelheiten? Was es für eine Farbe hatte oder Ähnliches?»
«Ja, obwohl ich weiß …»
«Welche Farbe hatte es?» Billy unterbrach ihn. Dies war sein Spezialgebiet.
«Rot, aber ich weiß …»
«Kennst du Mopedmarken?» Billy schnitt ihm erneut das Wort ab. «Weißt du, was für ein Typ Moped es war? Hatte es Nummernschilder, kannst du dich daran erinnern?»
«Ja – oder nein, ich erinnere mich nicht daran.» Fredrik wandte sich an Vanja. «Aber ich weiß, wem es gehört, also, ich weiß, wer der Fahrer war. Leo Lundin.»
Vanja und Billy sahen sich an. Vanja sprang auf.
«Warte hier, ich muss meinen Chef holen.»
D er Mann, der kein Mörder war, war stolz auf sich. Obwohl er es eigentlich nicht sein durfte. Doch er hatte die einfühlsame Reportage über eine Schule in Trauer gesehen und daneben die zahlreichen Pressekonferenzen mit grimmigen Polizisten. Tragisch, dunkel und traurig. Aber er konnte es nicht sein lassen. So sehr er es auch zurückzudrängen versuchte, immer wieder wurde er von einem Gefühl der Selbstbestätigung eingeholt. Doch damit war er allein. Niemand würde es je verstehen. Egal, wie nah sie ihm standen und was sie auch sagten.
Sein Stolz war erbaulich und befreiend, ließ ihn beinahe überschwänglich werden. Mit seiner Tat hatte er Stärke bewiesen. Wie ein echter Mann. Das Schützenswerte beschützt. Er war nicht zurückgewichen, hatte niemanden im Stich gelassen, als es wirklich darauf ankam. Der strenge, süßliche Duft von Blut und Eingeweiden hatte sich tief in seine Sinne gebohrt, und er hatte mit aller Kraft gegen den Würgreiz kämpfen müssen. Aber er hatte weitergemacht. Das Messer in seiner Hand hatte nicht gezittert. Seine Beine hatten nicht unter ihm nachgegeben, als er die Leiche entsorgt hatte. Er hatte bestmöglich reagiert in einer Situation, die viele nicht gemeistert hätten – oder in die sie niemals geraten wären. Und darauf war er stolz.
Gestern war er so aufgedreht gewesen, dass er kaum hatte stillsitzen können. Er hatte einen mehrstündigen Spaziergang gemacht. Durch die Stadt, die nur ein Thema kannte: sein Geheimnis. Nach einer Weile war er am Polizeipräsidium vorbeigelaufen. Beim Anblick des vertrauten Gebäudes hatte er instinktiv umkehren wollen. Er war so sehr in Gedanken versunken gewesen, dass er nicht darüber nachgedacht hatte, wohin er spazierte. Aber als er dort angelangt war, begriff er, dass er genauso gut am Gebäude vorbeigehen konnte. Er war lediglich ein Spaziergänger, dessen Weg hier entlangführte. Die Männer und Frauen dort drinnen würden nichts ahnen. Sie konnten nicht wissen, dass der, den sie suchten, so nah war. Er ging weiter. Dennoch wagte er es nicht, durch die großen Glasfenster ins Innere zu schauen. Als er die Einfahrt erreicht hatte, kam ein Polizeiwagen angefahren und bremste, um ihn vorbeizulassen. Er nickte den uniformierten Polizisten zu, als ob er sie kennen würde. Im Grunde tat er das ja auch. Sie waren seine Widersacher. Er war der Mann, den sie suchten, ohne es zu ahnen. Es war ungemein spannend und befriedigend, über dieses Wissen zu verfügen, die Wahrheit, nach der sie so fieberhaft suchten, in der eigenen Hand zu halten. Er blieb stehen, um den Polizeiwagen durchfahren zu lassen. Eine freundliche Geste an den Feind.
Er wusste, wer ihm diese Kraft verliehen hatte. Nicht Gott. Gott begleitete einen auf dem Weg und spendete Trost. Nein, sein Vater hatte ihn so stark gemacht. Sein Vater, der ihn herausgefordert, ihn abgehärtet und ihm vermittelt hatte, worauf es ankam. Es war nicht immer leicht gewesen. Auf irgendeine Weise erinnerte ihn sein jetziges Geheimnis an das, was er als Kind mit sich herumgetragen hatte. Was auch niemand hatte verstehen können.
Egal, wie nah sie ihm gestanden hatten.
Was sie auch gesagt hatten.
Einmal hatte er es in einem Moment der Schwäche und Verzweiflung der blonden, blumig duftenden Schulschwester erzählt. Das Ergebnis war Aufregung. Chaos. Die Schule
Weitere Kostenlose Bücher