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Der Mann, der kein Mörder war

Der Mann, der kein Mörder war

Titel: Der Mann, der kein Mörder war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hjorth , Rosenfeldt
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wenig abgebröckelt, stellte Torkel fest, als er auf dem Rücken im Bett eines weiteren anonymen Hotelzimmers lag. Mit den Jahren hatte er so viele Nächte in Hotels verbracht, dass das Unpersönliche zur Norm geworden war, das Schlichte wichtiger als das Originelle, die Funktionalität entscheidender als die Gemütlichkeit. Wenn man ganz ehrlich war, unterschied sich seine Zweizimmerwohnung südlich von Stockholm sowieso kaum von einem durchschnittlichen Zimmer im Scandic Hotel. Torkel streckte sich und legte seine Arme unter Kissen und Kopf. Die Dusche rauschte noch immer. Im Bad war sie keineswegs schnell.
    Die Ermittlung. Was hatten sie bisher überhaupt erreicht?
    Sie hatten einen Fundort, aber keinen Tatort. Sie hatten einen Reifenabdruck, der vielleicht vom Auto des Mörders stammte, vielleicht auch nicht. Sie hatten einen jungen Mann verhaftet, doch es sprach immer mehr dafür, ihn morgen wieder freizulassen. Auf der Positivliste konnten sie verzeichnen, dass Billy, nachdem er kreuz und quer weiterverbunden worden war, endlich eine Frau von der verantwortlichen Überwachungsfirma am Apparat gehabt hatte, die wusste, mit wem er sprechen musste, um an die Kameraaufzeichnungen in der Gustavsborgsgatan zu kommen. Der zuständige Mitarbeiter war gerade auf einer Geburtstagsfeier in Linköping, würde sich aber morgen Vormittag so schnell wie möglich darum kümmern. Es war allerdings nicht sicher, ob die Aufnahmen vom Freitag noch existierten. Manche Bänder durften nur achtundvierzig Stunden lang gespeichert werden. Die Bezirksregierung vertrat in dieser Hinsicht gewisse Standpunkte. Der Mitarbeiter würde das überprüfen. Morgen Vormittag. Billy setzte ihm eine Frist bis 11 Uhr.
    Vanja war sich sicher, dass Rogers Freundin log, was den Abend von Rogers Verschwinden anging. Doch wie Lisas Vater richtig festgestellt hatte, stand in dieser Sache Aussage gegen Aussage. Auch hier konnten ihnen die angeforderten Filme helfen. Torkel seufzte. Es war schon ein wenig deprimierend, dass der Ermittlungsfortschritt derzeit offenbar davon abhing, wie lange die Firma G4 in Västerås ihre Überwachungsaufnahmen von öffentlichen Plätzen speicherte. Was war nur aus der altehrwürdigen Polizeiarbeit geworden? Sofort verbat er sich den Gedanken. Genau so dachten die opernbegeisterten, whiskyschlürfenden alten Kommissare in Kriminalfilmen. Die vorhandene Technik anzuwenden war eben die neue, ehrwürdige Polizeiarbeit. DNA , Überwachungskameras, Computertechnologie, Datenabgleich, Abhörtechniken, Handyortung, Wiederherstellung gelöschter SMS  – so klärte man heutzutage Verbrechen auf. Das nicht wertzuschätzen wäre nicht nur zwecklos, sondern käme geradezu einer Huldigung der Lupe als wichtigstem Bestandteil der Polizeiausrüstung gleich. Dämlich und rückwärtsgewandt. Dafür war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Ein junger Mensch war ermordet worden, und alle Blicke waren auf sie gerichtet. Torkel hatte gerade die Nachrichten auf TV 4 gesehen und im Anschluss daran eine Talkshow, deren Hauptthema die zunehmende Gewalt unter Jugendlichen war: Ursache – Wirkung – Lösung. Auch wenn immer mehr darauf hindeutete, dass Leo Lundin unschuldig war und Torkel und sein Team genau das deutlich kommuniziert hatten, damit Leo von der Öffentlichkeit und der Presse nicht vorverurteilt wurde. Anscheinend waren die Programmmacher der Ansicht, dass ein jugendliches Opfer ausreichte, um das Thema Jugendgewalt sofort zur Debatte zu machen. Egal, wie alt der Täter war. Selbstverständlich führte die Diskussion zu keinen neuen Ergebnissen. Die Schuld wurde bei den abwesenden Vätern im Besonderen und den abwesenden Eltern im Allgemeinen gesucht, bei Filmen und vor allem bei Gewaltspielen. Zuletzt äußerte eine gepiercte Frau um die dreißig das, was Torkel bereits erwartet hatte:
    «Man sollte nicht vergessen, dass unsere Gesellschaft immer rücksichtsloser wird.»
    Das waren die Ursachen: Eltern, Videospiele und die Gesellschaft. Lösungsvorschläge glänzten wie immer durch Abwesenheit. Es sei denn, man rechnete eine gesetzlich verordnete Elternzeit, die sich beide Eltern zu fünfzig Prozent teilten, eine strengere Zensur oder mehr Umarmungen zu den Lösungen. An der Gesellschaft ließ sich offenbar nichts ändern. Torkel hatte den Fernseher noch vor Ende der Sendung ausgeschaltet und angefangen, über Sebastian zu sprechen. In den letzten Jahren hatte er nicht oft an seinen ehemaligen Kollegen gedacht, aber stets geglaubt,

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