Der Mann, der kein Mörder war
dass ein Wiedersehen anders ablaufen würde, herzlicher. Er war enttäuscht.
An dieser Stelle seiner Überlegungen war Ursula unter die Dusche gegangen. Jetzt kam sie aus dem Bad, nackt bis auf ein Handtuch, dass sie sich um die Haare gewickelt hatte. Torkel fuhr einfach fort, als habe die viertelstündige Unterbrechung des Gesprächs nicht stattgefunden.
«Du hättest ihn sehen sollen. Er war ja schon damals, als wir zusammengearbeitet haben, ziemlich eigen. Aber jetzt … Es schien geradezu, als wolle er mich zum Feind haben.»
Ursula antwortete nicht. Torkel folgte ihr mit dem Blick, als sie zum Nachttisch ging, ihre Bodylotion nahm und sich einzucremen begann. Aloe Vera, wie er wusste. Er hatte sie schon so oft dabei beobachtet. Über einige Jahre hinweg.
Wann hatte das mit ihnen eigentlich angefangen? Er wusste es nicht genau. Noch vor der Scheidung, aber erst nachdem seine Ehe in die Krise geraten war. Nach dieser Definition waren das allerdings immer noch viele Jahre. Es spielte keine Rolle. Er hatte sich scheiden lassen. Ursula war noch immer verheiratet. Soweit Torkel wusste, hatte sie nicht die Absicht, Mikael zu verlassen. Aber er wusste nur wenig über die Beziehung der beiden. Mikael hatte schwere Zeiten mit zu viel Alkohol durchgemacht. Ein Quartalssäufer. Das wusste er, aber wenn er es richtig verstanden hatte, waren diese Quartale immer seltener und kürzer geworden. Vielleicht führten sie eine freie Ehe, und jeder durfte schlafen, mit wem er wollte, wann er wollte und sooft er wollte? Vielleicht betrog Ursula Mikael aber auch mit Torkel. Torkel war durchaus der Meinung, dass er Ursula nahestand, aber von ihrem Leben außerhalb des Berufs wusste er so gut wie nichts. Anfangs hatte er gefragt, aber Ursula hatte schnell deutlich gemacht, dass ihn das nichts anging. Sie suchten die Nähe des anderen, wenn sie zusammenarbeiteten, und so funktionierte es auch. Mehr musste nicht sein. Torkel hatte beschlossen, nicht weiter nachzubohren, aus Angst, sie am Ende ganz zu verlieren. Das wollte er nicht. Er konnte selbst nicht genau einschätzen, was er eigentlich von ihrer Beziehung erwartete, nur, dass es mehr war, als Ursula zu geben bereit war. Deshalb gab er sich mit dem zufrieden, was er bekam. Sie verbrachten die Nächte miteinander, wenn sie es wünschte. Wie jetzt, als sie die Decke hob und neben ihm ins Bett kroch.
«Ich warne dich. Wenn du noch weiter von Sebastian sprichst, gehe ich.»
«Es ist ja nur, dass ich dachte, ich würde ihn kennen, und dann …»
Ursula legte einen Finger auf seine Lippen und stützte sich auf den Ellbogen. Sie sah ihn mit ernstem Blick an.
«Ich meine es so. Ich habe ein eigenes Zimmer. Du willst doch nicht, dass ich gehe?»
Sie hatte recht, das wollte er nicht. Er schwieg und knipste das Licht aus.
S ebastian erwachte aus dem Traum. Während er die Finger seiner rechten Hand ausstreckte, überlegte er kurz, wo er war. Im Nachbarhaus, bei Clara Lundin. Sie hatten unerwartet guten Sex gehabt.
Trotzdem war er mit einem Gefühl der Enttäuschung aufgewacht. Es war so leicht gewesen. Zu leicht, um mit dem Gefühl kurzzeitiger Befriedigung aufzuwachen.
Die Verführung des anderen Geschlechts gehörte zu Sebastian Bergmans Stärken. So war es immer schon gewesen. Sein Erfolg bei den Frauen verwunderte die anderen Männer mitunter. Er sah nicht auf klassische Weise gut aus. Hatte immer zwischen Übergewicht und Beinahe-Übergewicht geschwankt und sich in den letzten Jahren in der Mitte eingependelt. Seine Gesichtszüge waren weder ausgeprägt noch markant, eher Bulldogge als Dobermann, wenn man den Hundevergleich wählte. Das Haar hatte sich immer mehr auf dem Kopf zurückgezogen, und sein Kleidungsstil entsprach eher der allgemeinen Vorstellung eines Psychologieprofessors als den Trends der Modezeitschriften. Natürlich gab es Frauen, die sich von Geld, Aussehen und Macht beeindrucken ließen. Aber das war nur ein Teil. Wollte man bei
allen
Frauen Erfolg haben, musste man etwas anderes besitzen. So wie Sebastian. Charme, Intuition, ein großes Repertoire. Und die Einsicht, dass alle Frauen unterschiedlich waren, damit einhergehend die Fähigkeit, verschiedene Taktiken zu entwickeln, zwischen denen man wählen konnte. Die man antesten und mittendrin wechseln konnte, für die man ein Gefühl bekam, um sie dann nach Bedarf anzuwenden. Feinfühligkeit und Hellhörigkeit.
Am besten funktionierte es, wenn die Frau glaubte, dass sie in Wirklichkeit ihn verführte. Ein
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