Der Mann, der kein Mörder war
geboren worden. Sebastian bedankte sich und strich sie von der Liste.
Noch eine übrig.
Sebastian rief sie an. Weckte sie. Vielleicht war sie deshalb bedeutend reservierter. Sie sagte kurz angebunden, sie kenne ihn nicht. Immerhin räumte sie ein, Sozialwirtschaft studiert und 1980 abgeschlossen zu haben, aber sie hatte nicht mit einem der Doktoranden des Psychologischen Instituts geschlafen. Daran würde sie sich erinnern. Erst recht, wenn sie dadurch schwanger geworden wäre. Nein, sie habe keine Kinder. Wenn es ihm geglückt sei, sie und ihre Telefonnummer nach so vielen Jahren ausfindig zu machen, würde er das bestimmt ebenfalls leicht nachprüfen können. Dann legte sie auf.
Sebastian strich die letzte Anna Eriksson von seiner Liste.
Er atmete aus, als habe er die letzten Stunden die Luft angehalten. Die Energie, die ihn beflügelt hatte, wich. Er sank auf einen Stuhl in der Küche. Die Gedanken kreisten in seinem Kopf. Er musste sie ordnen.
Also war die Anna Eriksson, die er suchte, keine Studentin gewesen. Das erschwerte die Sache. Aber sie hatte irgendeine Verbindung zur Universität gehabt. Sie hatte ja geschrieben, dass sie sich dort kennengelernt hatten. Doch welche? War sie Dozentin, Mitarbeiterin oder einfach nur eine Freundin von jemandem, der dort studierte, und sie hatten sich auf einer Party kennengelernt? Viele Möglichkeiten, keine Antworten.
Ein Name, eine Adresse, eine Jahreszahl und eine Verbindung zu seiner Stockholmer Unizeit, das war alles. Er wusste nicht einmal, wie alt sie war – das hätte die Sache vielleicht etwas erleichtert. Aber er musste Genaues in Erfahrung bringen. Mehr. Alles. Zum ersten Mal seit langem spürte Sebastian etwas anderes als die ewige Müdigkeit, die ihn so lange begleitet hatte. Es war nicht direkt Hoffnung, aber irgendetwas war da. Eine kleine Brücke zur Welt. Er erkannte das Gefühl wieder. Lily hatte ihm ein solches Gefühl von Zusammenhang vermittelt. Von Zugehörigkeit. Früher hatte sich Sebastian immer einsam gefühlt. Als hätte er neben dem Leben und den anderen Menschen hergelebt. Als wäre er neben ihnen hergelaufen, aber nie mit ihnen. Lily hatte das geändert. Sie hatte einen Zugang zu ihm gefunden, hatte seine Mauer aus Attitüde und Intelligenz durchbrochen und ihn berührt, wie niemand anderes es je vermocht hatte. Sie hatte in ihn hineingesehen. Ihm seine Fehler vergeben, jedoch auch Forderungen gestellt. Das war etwas Neues für ihn. Liebe. Er hörte auf, in der Gegend herumzuvögeln. Es war ein harter Kampf, aber es gelang ihr immer, ihm in Stunden des Zweifels mit Worten und Trost zur Seite zu stehen. Plötzlich begriff er, dass nicht nur sie es war, die für sie beide kämpfte. Er tat es auch. Er, der sonst immer nach einem Ausweg suchte, wollte nun den Weg nach vorn antreten. Das war ein wunderbares Gefühl. Er war nicht mehr länger der einsame Soldat, jetzt waren sie zu zweit. Und als Sabine an jenem Augusttag geboren wurde, war er vom Leben umgeben. Er fühlte sich ganz, er war Teil von etwas, und er war nicht allein.
Der Tsunami hatte alles verändert. Hatte jegliche Verbindung, jeden feingesponnenen Faden zwischen ihm und allem anderen abgerissen. Und wieder stand er da und war einsamer als je zuvor, denn jetzt wusste er, wie sich das Leben anfühlen konnte, wie es sich anfühlen sollte.
Sebastian ging hinaus auf die Holzterrasse. Er war merkwürdig aufgekratzt. Als ob man ihm plötzlich einen Rettungsanker zugeworfen hätte. Sollte er nach ihm greifen? Es würde sicher ein böses Ende nehmen. Ganz sicher. Doch an diesem Morgen spürte er zum ersten Mal seit langem etwas in sich sprudeln, eine Energie, eine Lust. Keine Lust auf Sex oder Eroberungen, sondern eine Lust am Leben. Er wollte die Chance ergreifen. Es lastete ja ohnehin ein Fluch auf ihm, also hatte er nichts zu verlieren. Er konnte nur gewinnen. Er musste es wissen. Hatte er noch ein Kind? Er musste diese Anna Eriksson finden. Aber wie? Plötzlich kam ihm eine Idee. Es gab Menschen, die ihm helfen konnten. Aber es würde nicht einfach werden.
E s war reiner Zufall, dass Torkel und Ursula gleichzeitig den Frühstücksraum betraten. In den Nächten, die Ursula in Torkels Zimmer verbrachte, stellte sie den Wecker auf halb fünf, stand auf, wenn er klingelte, zog sich an und ging zurück in ihr eigenes Zimmer. Torkel stieg ebenfalls aus dem Bett und verabschiedete sie an der Tür, komplett bekleidet und korrekt. Sollte jemand zu dieser unchristlichen Zeit auf dem
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