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Der Mann, der nicht geboren wurde

Der Mann, der nicht geboren wurde

Titel: Der Mann, der nicht geboren wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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fragte sich ernsthaft, wer so ein Leben lange
aushalten sollte.
    Ob die schöne Frau mit den silbernen Augen, der er bereits dreimal
begegnet war, nun wieder auftauchte? Sie war die schönste von allen.
Überirdisch. Göttlich geradezu.
    Ob sie der Tod war? Sein Tod?
    Mit der einen ihm verbliebenen Hand fasste er sein Licht und holte
es nach draußen. Der Magier begann zu leuchten, fast wie der Kopf der
Schicksalskarte zwölf: der Gehängte.
    Oben rief der Bienenmann seinem Kumpanen eine Warnung zu.
    Doch es war zu spät.
    Das Herz der Geisel hörte auf zu schlagen.
    Das Licht erlosch.

1

Zusammensetzen
    Fünfzehn Tage vorher. Der 7. Blättermond.
    Glutpunkte lagen auf seinem Gesicht. Zehn. Dann zwanzig.
    Die Glutpunkte bewirkten Eigenartiges.
Wie Sonnen erhellten sie ein ansonsten dunkles Firmament. Leuchteten zu ihm
her. Strahlten ihn an wie zwanzigmal wohlmeinendes Lächeln.
    Er setzte sich zusammen in diesem Lächellicht.
    La.  Del.  Sa.  Ba.  Ta.  Ne.  Draeg.  Ro.  Ves.
    Ro. Draeg. Ta. La.
Ves. Sa. Del. Ba. Ne.
    Es klang fast wie ein Kinderlied. Die Melodie dazu überreichte ihm
eine längst vergangene Zeit.
    Rodraeg schlug die Augen auf. Sah vier Hände, die symmetrisch auf
seinem Gesicht lagen. Vier Hände mit zwanzig warmen Fingerkuppen. Zwei der
Hände waren jung und zart, zwei waren alt, aber alle vier waren schmal und
feingliedrig.
    Â»Sieh ihn an«, raunte die Stimme eines alten Mannes. »Hat er die
Augen aufgeschlagen?«
    Â»Ja. Oh, ihr Götter. Das hat er!«, bebte die Stimme von Naenn.
    Â»Naenn«, hauchte Rodraeg, so leise, dass er glaubte, niemand würde
es hören können, doch er irrte sich.
    Â»Rodraeg«, sagte Naenn eindringlich. »Lass dir Zeit. Du bist zu
Hause. Dies ist Estéron vom Kreis . Sicherheit umgibt
dich.«
    Rodraeg ließ diese sehr beruhigenden Worte auf sich einwirken. Die
zwanzig Sonnen waren von seinem Gesicht genommen, die zehn Naenns glaubte er
immer noch warm spüren zu können. Rodraeg dachte nach über die Worte Sicherheit umgibt dich . Wem sagte man so etwas, wenn nicht
einem, der gewöhnlicherweise nicht von Sicherheit
umgeben war? Dann fiel es ihm wieder ein: Hellas! Der Pfeil! Der Pfeil!
    Ein Ruck durchlief ihn wie am Ende eines Albtraums. »Schhhhhhhhh«,
machte Naenn. Ihre zehn Sonnen schienen wieder auf, an seinen Schultern, seinen
Schläfen, seiner Stirn. Er verspürte eine Sehnsucht nach Schlaf und Vergessen,
nach einem Verbleiben in der Wärme, nach einer Zukunft mit den Sonnen. Aber dann
siegte seine Neugier. Er wollte Estéron sehen und kennenlernen, das einzige
Mitglied vom Kreis , dem er noch nie begegnet war.
    Rodraeg schlug dauerhaft die Augen auf. Naenn war noch schöner, noch
sinnlicher, als er sie in Erinnerung hatte. Ihr Bauch wölbte ihr einfaches
Kleid unübersehbar. Estéron dagegen war sehr schmal, sehr pergamenten. Er
schien hundert Jahre alt zu sein und hatte dennoch ein glattes Gesicht mit tief
eingegrabenen Charakterkerben, sehr fein geschnitten, beinahe weiblich. Er
hatte dunkelgraue Haare, die in einem rasierpinselartigen Zopf mündeten.
Gekleidet war er in ein taubengraues Gewand mit kurzen, breiten Ärmeln. Seine
Pupillen hatten die Farbe von leichtem Nebel.
    Â»Es ist mir eine Ehre«, brachte Rodraeg mühsam hervor. Die Art, wie
Estéron leicht an ihm vorbeisah, um ihm eher ein Ohr als den Blick zuzuwenden,
bestätigte ihm, dass der alte Schmetterlingsmann blind war.
    Â»Mir ebenfalls«, lächelte Estéron. »Es freut mich, dass unsere
Bemühungen erfolgreich waren.«
    Â»Wie lange … war ich … weg?«
    Â»Heute ist der 7. Blättermond«, erläuterte Naenn. »Als Eljazokad und
Bestar dich hierher brachten, schrieb man den 15.Rauchmond.«
    Â»Ihr Götter! Ich war … fast einen Mond lang … bewusstlos?«
    Naenn schüttelte den Kopf. »Nicht bewusstlos. Bewusstlos warst du
wohl nur kurz, bei den Riesen. Dann haben sie dich … in einen Zustand versetzt,
der ihnen erlaubte, dich und die anderen magisch in unser Haus zu
transportieren. Hier konnte ich dann … dein Licht aufschließen und dich in
einen Heilschlaf überführen. Du hast bis eben geschlafen, Rodraeg. Die Wunde
ist gut verheilt. Es ist ausgestanden.«
    Â»Dein Kind? Wann ist es so weit? Ich kann mich im Moment nicht
erinnern.«
    Â»Es ist noch Zeit. Noch

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