Der Mann, der nicht geboren wurde
ihr eigenes Kind. Die Geburt eines Mädchens
war eine groÃe Ãberraschung, für sie und auch für mich. Bei uns im Hain gibt es
eine alte Auslegung, die besagt, dass, wenn ein Mädchen geboren wird, ein Junge
nicht geboren wird, und umgekehrt. Mir scheint, die Dreimagier haben euch den
Jungen, der nicht geboren wurde, gezeigt. Den Jungen, mit dem Naenn in den
letzten Monden gesprochen hat, wenn sie ihren Bauch berührte.«
»Sie hat diesen Jungen schon damals gesehen, als wir zum ersten Mal
am Haus der Dreimagier waren«, erinnerte sich Rodraeg. »Das war kurz nach
unserer Rückkehr vom Terrek-Auftrag. Damals war sie im dritten Mond schwanger
und kurz davor, es mir zu erzählen. Ich weià noch, wie unwohl sie sich fühlte.
Vielleicht haben die Dreimagier irgendwie auf sie eingewirkt, sodass sie einen
Jungen wahrnehmen musste anstatt eines Mädchens.«
»Das glaube ich nicht. Die Geburt war wie ein Bergen von etwas
Zerbrechlichem aus etwas Zerbrechlichem â und das alles inmitten eines wilden
Gewitters widersprüchlicher Kräfte. Ich bin mir jetzt sicher, dass Riban
Leribin seine Spuren in Naenn hinterlassen hat, und ebenfalls, dass der
Wolfsmann Oscodidan Teil ihres Schicksals ist. Das erklärt auch den Wolf, der
eines Nachts an eurer Haustür schnupperte, wie Cajin mir erzählt hat. Von den
Dreimagiern war aber nichts zu bemerken. Ich denke, sie stellen nur bildlich
dar, was sie wissen oder ahnen, um uns behilflich zu sein. Sie mögen viel
wissen und ahnen, aber ihr tatsächliches magisches Bewirken ist eher gering.
Die Mächte von Mensch und Schmetterling, Magier Leribin und dem Wolf waren viel
stärker, ein vierfaches Kreuzen von Elementen. Der junge Akamas war von groÃem
Nutzen, denn er konnte mit seiner Magie Felder gerade biegen und glätten, die
sich wie Widerhaken sträubten. Ich selbst war die ganze Zeit über damit
beschäftigt, einen Pfad nach drauÃen zu finden und für das Kind überhaupt
erstrebenswert zu machen. Ein einzigartiges Kind wie dieses wird ein schweres
Leben führen müssen, und so manches Ungeborene in dieser Lage beschlieÃt,
lieber die Brücke zu überqueren, auf der auch du schon standest, Rodraeg.«
Alle versanken in Schweigen. Cajin fand als Erster die Sprache
wieder. »Dieser Junge, der nicht geboren wurde ⦠den die Dreimagier als Boten
benutzten ⦠ist es denkbar, dass er tatsächlich existiert? Dass er agieren
kann, als würde es ihn geben? Und dass er Groll empfindet über die Tatsache,
dass er nicht geboren wurde?«
»Weshalb fragst du das?«, wollte Estéron wissen.
»Weil, wenn man aus der Junge, der nicht geboren
wurde einen Mann oder einen Menschen macht, dann ergibt das der Mann, der nicht geboren wurde oder der
Mensch, der nicht geboren wurde. DMDNGW .«
»Wir haben inzwischen so viele mögliche Auslegungen von DMDNGW , dass alle falsch sein können und alle wahr«, winkte
Rodraeg ab. »War es nicht vor einer halben Stunde noch der
mächtige Dämon namenlos gleiÃender Wut ? Vielleicht liegt der Sinn dieser
Buchstaben gerade darin, dass sie keinen Sinn ergeben. Dass man sie mit
Bedeutung füllen kann, bis man ganz irrsinnig geworden ist vor lauter
Vieldeutigkeiten.«
»Der Junge war nicht feindselig«, widersprach auch der sonst
ziemlich schweigsame Bestar Cajins Theorie. »Gut, er muss in dieser verfallenen
Hütte hausen, das kann einen vielleicht sauer machen. Aber wenn ich das alles
richtig verstanden habe, ist die Hütte verfallen als Schutz, als Tarnung. Als
Tarnung vor DMD undsoweiter, denn der streift durch
die Stadt und tötet solche wie die Dreimagier. Das haben sie Eljazokad damals
erzählt.«
»Stimmt«, lenkte nun auch Cajin ein. »Das hatte ich vergessen. Mist,
wir hätten diesen Akamas mehr ausquetschen müssen!«
»Ich hatte nicht das Gefühl, dass wir mehr aus ihm hätten
herausbekommen können, als er uns freiwillig zu sagen bereit war«, entgegnete
Rodraeg. »Er hat uns genug geholfen. Ein Sonderermittler der Königin. Seltsam
genug. Und wie geht es nun Naenn?«
»Sie schläft«, antwortete Estéron, »und hält im Schlaf ihr Kind.
Wenn man es genau betrachtet, halten sie sich aneinander fest. Bis morgen
sollten wir sie so lassen. Aber eine Neuigkeit habe ich noch für euch: den
Namen des Kindes. Naenn hat ihn während der Geburt aus dem Hain empfangen,
Weitere Kostenlose Bücher