Der Mann, der niemals lebte
schimpfte mit ihm, weil er schon wieder nicht zum Waschen gekommen war und jetzt schmutzige Hemden und Unterhosen mitnehmen musste. Vor dem Haus wartete ein Wagen der Botschaft, und Ferris nahm Alice noch bis zu ihrer Wohnung mit, bevor er sich zum Flughafen fahren ließ. Auf der langen Reise nach Washington dachte er daran, wie sie sich im orientalischen Wunderland ihrer Wohnung vor einer Welt verbarg, die ihn selbst immer gnadenloser in Beschlag nahm.
Als Ferris sechsunddreißig Stunden später vor dem Eingang der CIA-Zentrale stand, stellte er als Erstes fest, dass seine Magnetkarte nicht mehr funktionierte. Elektronisch gesehen hatte man ihn also bereits suspendiert. Zwei Männer vom Sicherheitsdienst kamen nach unten und führten ihn in ein fensterloses Besprechungszimmer im hinteren Teil des Altbaus, wo die Hauptermittlerin der Generalinspektion auf ihn wartete. Bei ihr war Robert Croge, ein Anwalt im Dienst der CIA, sowie ein FBI-Agent mit einem slawischen Namen, den Ferris sich nicht merken konnte. So ein Mist, dachte Ferris. Was habe ich bloß angestellt? Die Vertreterin der Generalinspektion, eine strenge, angespannt wirkende Frau mit Pagenschnitt und Nadelstreifenkostüm, stellte sich als Myra Callum vor und setzte Ferris darüber in Kenntnis, dass ihre Abteilung eine strafrechtliche Ermittlung durchführe, die ihn betreffe. Der FBI-Agent stellte sich ebenfalls vor, sagte ihm, dass das Gespräch aufgezeichnet würde, und las Ferris dann seine Rechte vor, was ihm nur noch mehr Angst machte. Ferris erkundigte sich, ob er kurz allein mit dem jungen CIA-Anwalt sprechen dürfe, auch wenn dieser ganz offensichtlich nicht zur Wahrung seiner Rechte anwesend war, aber doch zumindest die CIA vertrat. Nach einer hastigen Beratung erklärten sich die beiden anderen einverstanden und verließen den Raum. Auf dem Weg zur Tür schaltete der FBI-Agent das Aufnahmegerät aus.
»Was in aller Welt soll das hier?«, fragte Ferris.
»Das darf ich Ihnen nicht sagen«, antwortete Croge. »Hören Sie sich die Fragen an. Aus dem, was man von Ihnen wissen will, werden Sie bestimmt erkennen, worum es geht.« Er hatte glatt rasierte Wangen, trug einen grauen Anzug und erinnerte Ferris an die Fotos, die er von John Dean, dem Watergate-Anwalt, gesehen hatte. Auch in Croges Gesicht zeigte sich weder Farbe noch Gefühl.
»Muss ich die Fragen denn beantworten?«
»Nein. Sie können jederzeit die Aussage verweigern. Das wirkt dann zwar nicht besonders gut, aber das ist Ihr Problem.«
»Sind Sie mein Anwalt?«
»Nein, ich vertrete die CIA. Sie können sich einen eigenen Anwalt nehmen. Ich würde Ihnen aber raten, sich erst einmal die Fragen anzuhören. Wenn Sie sich nicht kooperationsbereit zeigen, werden Sie sofort suspendiert und schweben dann schlimmstenfalls eine halbe Ewigkeit im luftleeren Raum. Dieser Vorgang ist streng geheim, es kann also Monate dauern, bis Sie einen Anwalt mit den entsprechenden Genehmigungen finden.«
»Das heißt, ich bin geliefert. Und dabei weiß ich noch nicht mal, worum es hier eigentlich geht.«
»Tut mir wirklich leid, mein Freund. Ich kann Ihnen nur raten, mit der Dame von der Generalinspektion zusammenzuarbeiten. Wenn sie Ihnen zu detaillierte Fragen über Ihre Einsätze stellt, breche ich das Gespräch sowieso ab. Zeigen Sie sich kooperativ, und reden Sie mit denen. Sie haben keine andere Wahl.« Ferris nickte, und der Anwalt ging zur Tür und rief die beiden anderen in den Raum zurück.
Myra Callum wirkte bei ihrer Rückkehr deutlich gereizter als zuvor. Der FBI-Mann schaltete das Aufnahmegerät wieder ein, dann stellten sich die beiden Ermittler und der Anwalt der CIA noch einmal für das Protokoll vor. Ferris sagte ebenfalls seinen Namen. Dann wurde er gefragt, ob er auf sein Recht verzichte, einen Anwalt hinzuzuziehen, und Ferris murmelte ein Ja, so leise, dass er es noch einmal wiederholen musste.
»Ich werde Ihnen jetzt einige Fragen zu Ihren früheren Tätigkeiten stellen«, sagte Myra Callum. »Haben Sie von 1999 bis 2000 für das CIA-Büro in Sanaa in der Republik Jemen gearbeitet?«
Streng genommen war die Antwort auf diese Frage bereits geheim. Ferris warf dem CIA-Anwalt einen Blick zu, und der bestätigte ihm mit einem Nicken, dass er antworten durfte.
»Ja, das ist richtig«, sagte Ferris.
»Und hatten Sie dort die Position des stellvertretenden Einsatzleiters inne?«
»Ja«, sagte Ferris. »Anfangs war ich nur Agent, wurde aber nach einem halben Jahr auf diese Stelle
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