Der Mann, der niemals lebte
Büroklammer an der rechten oberen Ecke. Dann faltete er den Brief zusammen und legte ihn in Harry Meekers Aktenkoffer.
»Er wird nicht bluten«, sagte Ferris. »Das ist Ihnen doch klar, oder? Wenn Harry da oben in den Bergen ein paar Kugeln verpasst bekommt, wird er nicht bluten.«
»Natürlich nicht«, gab Hoffman ungerührt zurück. »Er ist ja schließlich mausetot, und Tote bluten nicht mehr. Aber etwas Sekret wird schon aus ihm herauslaufen. Das haben wir alles getestet. Sieht sehr realistisch aus, glauben Sie mir.«
»Sind wir eigentlich völlig durchgeknallt?«, sagte Ferris mehr zu sich selbst als zu Hoffman.
»Kann schon sein. Aber wissen Sie was? Wenn Süleymans Freunde dieses Zeug hier sehen und versuchen, sich einen Reim darauf zu machen, dann werden sie noch viel verrückter als wir. Nicht zu wissen, was wahr und was gelogen ist, macht die Leute fertig. Es nagt an ihnen, und sie fangen an, sich zu fragen, ob sie überhaupt noch an irgendetwas glauben können. Der Zweifel ist der größte Übeltäter von allen. Er nimmt dem Teufel eine Menge Arbeit ab.«
Ferris nickte zustimmend und versuchte, nicht darüber nachzudenken, dass Hoffmans Worte sich vielleicht noch auf ganz andere Weise bewahrheiten könnten.
Washington
Kurz vor seinem großen Auftritt unterzogen sie Harry Meeker noch einer letzten Inspektion. Azhar stand mit einem Klemmbrett neben dem Toten, las die Punkte von einer Checkliste einzeln vor und machte ein Häkchen dahinter, sobald er von seinen Mitarbeitern eine Bestätigung erhalten hatte. Die meiste Mühe gaben sie sich mit Meekers Körpertemperatur. In der Woche zuvor hatten sie sie auf Anraten des CIA-eigenen Pathologen nach und nach um ein paar Grad erhöht, bis sie den Stand erreicht hatte, mit dem er transportiert werden sollte. Damit die Täuschung auch wirklich funktionierte, durfte der Tote erst ein paar Stunden vor seiner Entdeckung die Temperatur seiner Umgebung angenommen haben. Um die Leiche richtig aufzutauen, mussten Azhar und sein Team diverse Messungen mit der medizinischen Entsprechung eines Fleischthermometers vornehmen, bis Azhar endlich sein Häkchen machen und zum nächsten Punkt übergehen konnte.
Sie stellten eine genaue Inventarliste auf, nach der die Hosentaschen des Toten bestückt wurden. Kaugummipapier aus London, Paris und Pakistan. (Hoffman hatte beschlossen, dass Meeker einen Kaugummi im Mund haben sollte, wenn seine Leiche gefunden wurde – das gab dem Ganzen etwas Authentisches –, und hatte Azhar dazu auserkoren, den Kaugummi vorzukauen.) An Kleingeld erhielt er zwei Euro-Münzen, ein dickes, britisches Zwei-Pfund-Stück sowie eine Handvoll pakistanischer Rupien. Häkchen dahinter. Dann kam die Brieftasche an die Reihe: die Kreditkartenquittungen von der Exxon-Tank- stelle an der Route 123 und aus der Reinigung im McLean Shopping Center, Führerschein und Kreditkarten, das Foto mit Widmung von Denise, der erfundenen Freundin, die abgerissenen Eintrittskarten, die Streichholzbriefchen und zwei Kondome, die Meekers Identität vervollständigen sollten.
Das Handy hatte Azhar schon vor einer Woche mit einem Mix aus »eingegangenen Anrufen« und »gewählten Nummern« bestückt. Während der abschließenden Inspektion beschloss er, noch drei »Anrufe in Abwesenheit« von Denise hinzuzufügen. Falls jemand neugierig werden und die Nummer wählen sollte, von der diese Anrufe stammten, würde er die leicht atemlose Stimme einer jungen Frau zu hören bekommen: »Hey, hier ist Denise. Hinterlasst mir doch eine Nachricht oder so was.«
An Kleidung hatte Harry zusätzlich noch eine warme Jacke bekommen, denn immerhin würde die Leiche ja Ende Dezember im Bergland zwischen Peschawar und der afghanischen Grenze aufgefunden werden. Azhar hatte einen Anorak mit Fleece-Futter bei Land's End bestellt, der prinzipiell nicht schlecht war, aber auch nach mehrmaligem Reinigen noch viel zu neu aussah. Also schickte Hoffman eine Rundmail an die Mitarbeiter von Mincemeat Park mit dem Betreff »Kleider-Basar« und fragte nach einer gebrauchten Männerjacke, Größe 48, vorzugsweise mit Fleece-Futter. Daraufhin wurden zwei Jacken abgegeben: Die eine sah noch viel neuer aus als die, die sie schon hatten, aber die andere war schon ein wenig abgewetzt und hatte einen kleinen Riss am einen Ärmel sowie ein ziemlich verfilztes Fleece-Futter. Die fand Hoffman perfekt. Die Hose aus Wollstoff erfüllte immer noch ihren Zweck, ebenso das weiße Hemd und die Wanderschuhe. Doch
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