Der Mann, der niemals lebte
beim allerletzten Check, kurz bevor sie Harry Meeker in den gekühlten Transportbehälter für seine letzte Reise laden wollten, entdeckte Hoffman plötzlich die Bügelfalten in der Hose.
»Meine Fresse!«, polterte er. »Wer läuft denn am Arsch der Welt mit einer gottverdammten Bügelfalte in der Hose rum? Was seid ihr eigentlich für Penner?« Doch Azhar, der immer auf alles vorbereitet war, hatte schon ein Dampfbügeleisen zur Hand, mit dem er die Falten aus Harrys Hosenbeinen rasch entfernte.
Von Mincemeat Park aus konnten Hoffman und sein Team Harry Meekers Reise um die halbe Welt am Bildschirm verfolgen. So wussten sie genau, wann sein Flugzeug in London, Paris und schließlich in Islamabad landete. Während Harry in seiner Kiste blieb, stieg bei jedem Halt ein echter Agent der Nahost-Abteilung in entsprechender Verkleidung aus dem Flugzeug, sprach beim örtlichen CIA-Büro vor und ging von dort aus weiter in die Büros der befreundeten Geheimdienste, wo er die zuständigen Einsatzkräfte mit den letzten Neuigkeiten zum Bombenanschlag in Incirlik versorgte. Am Tag nach seiner Zwischenlandung in Paris veröffentlichte Le Figaro einen kurzen Artikel, dem zufolge den USA neue Informationen über den Anschlag von Incirlik vorlägen und sich die Hinweise auf eine jordanische Splittergruppe der al-Qaida erhärteten.
Nachdem das Flugzeug in Islamabad gelandet war, sprach der falsche Harry in der Zentrale des pakistanischen ISI vor und reiste noch in der Nacht weiter nach Peschawar. Am nächsten Tag würde der Agent – nun allerdings ohne Verkleidung – nach Islamabad zurückkehren und von dort aus in einer ganz regulären Passagiermaschine die Heimreise antreten. Und auch der »echte« Harry, der immer noch auf Eis lag, fuhr in dieser Nacht, gut verstaut auf der Ladefläche eines Lastwagens, nach Peschawar.
Alex Smite, der Leiter des dortigen Büros, nahm den Lastwagen in Empfang. Er hatte zwar gewusst, was auf ihn zukam, aber als er den Toten dann tatsächlich sah, rief er dennoch erst einmal Hoffman an. »Sind Sie sicher, dass der Direktor das genehmigt hat?«
»Ruhig Blut«, besänftigte ihn Hoffman. »Es ist alles in Ordnung, und der ganze Papierkram ist auch längst erledigt.« Er konnte dem Mann in Islamabad keinen Vorwurf machen: Die Arbeit beim Geheimdienst bestand nun mal zum größten Teil daraus, die Entscheidungen anderer anzuzweifeln.
Der Tote wurde in Smites Landrover verladen, ein nicht gepanzertes Fahrzeug mit getönten Scheiben. Sie setzten ihn auf die rechte Seite der Rückbank, den traditionellen Ehrenplatz für Gäste. Ein straffgezogener Sicherheitsgurt sorgte dafür, dass Harry aufrecht sitzen blieb. Hoffman meldete sich über eine verschlüsselte Telefonleitung und verlangte, die Körpertemperatur noch einmal zu überprüfen. Smite verwendete dazu ein echtes Fleischthermometer, das ein kleines Loch hinterließ – aber etwas anderes hatte er nun mal nicht finden können. Immerhin hatte der Tote in etwa die richtige Temperatur. In zwölf Stunden würde sie vermutlich der Außentemperatur von knapp zwei Grad Celsius entsprechen, und nach weiteren zwölf Stunden würde dann der Verwesungsprozess einsetzen. Aber bis dahin war Harry ja schon »tot«. Oder genauer gesagt: Bis dahin würde sein toter Körper längst von Kugeln durchsiebt auf dem Rücksitz des Landrovers liegen.
In einem Militärlager in den Bergen vor Peschawar, das seit einigen Jahren als Ausgangsbasis für die meist fruchtlose Jagd auf wichtige al-Qaida-Führer diente, traf Smite sich mit seinem Team aus Sondereinsatzkräften. Es spielte keine Rolle, ob man ihn bei diesem Zusammentreffen beobachtete, im Gegenteil, er wollte sogar gesehen werden. Je vier schwerbewaffnete Soldaten bemannten eines von zwei gepanzerten Geländefahrzeugen, die den Landrover in die Mitte nahmen. Auf den ersten achtzig Kilometern wurde der kleine Konvoi noch von einer pakistanischen Militäreskorte begleitet, doch als sie ins Ödland kamen, verschwanden die eskortierenden Motorradfahrer, und die Amerikaner fuhren allein weiter Richtung Kosa, einem Dorf südlich von Mingaora in der Nordwestprovinz. Einer von Smites paschtunischen Agenten hatte Azzam bereits per Funk angekündigt, dass Gäste aus Amerika im Anmarsch seien.
Die Ankunft in Kosa folgte einer sorgfältig durchgeplanten Choreografie, die auch Ferris über die Kamera eines Aufklärungssatelliten fast lückenlos in Echtzeit verfolgen konnte. Als der kleine Konvoi sich Azzams Haus
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