Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Mann, der niemals lebte

Titel: Der Mann, der niemals lebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ignatius David
Vom Netzwerk:
Auf dem George Washington Parkway rutschten die Autos nur so herum, und selbst die Einfahrt zur CIA-Zentrale war spiegelglatt. Ferris stellte seinen Mietwagen vor einer Schneeverwehung auf dem nördlichen Parkplatz ab und begab sich auf direktem Weg in Hoffmans High-Tech-Rattenloch. Er hatte jetzt seine eigene biometrische Marke, die ihm Zugang zu den verborgenen Türen und offiziell nicht existierenden Aufzügen von Mincemeat Park gewährte. Der Chef war noch sehr viel aufgekratzter als sonst, und als Ferris sein stark gerötetes Gesicht betrachtete, dachte er zuerst, dass Hoffman auf diversen Weihnachtsfeiern vielleicht ein wenig über die Stränge geschlagen hatte. Allerdings stellte sich rasch heraus, dass Hoffman wegen etwas ganz anderem so unter Strom stand.
    »Ho, ho, ho«, tönte er, als Ferris in sein Büro kam. »Fröhliche Weihnachten.«
    »Sehr originell«, erwiderte Ferris, dem der Jetlag nach dem langen Flug noch in den Knochen steckte. »Ich hoffe, Sie haben mich nicht nur deshalb herzitiert.«
    »Natürlich nicht. Um es mit den Worten des von mir hoch geschätzten Lewis Carroll zu sagen: ‹Die Zeit ist reif›, das Walross sprach, ‹von mancherlei zu reden. Von Schuhen, Schiffen, Siegellack, von Königen und Zibeben›.«
    O Gott, dachte Ferris, jetzt ist er komplett übergeschnappt.
    »Um genau zu sein«, fuhr Hoffman fort, »war das ein Zitat aus Alice hinter den Spiegeln. Und da gehen wir jetzt auch hin, mein Freund. Hinter die Spiegel, wo unser geschätzter Mr. Harry Meeker schon auf uns wartet.«
    Ein Lächeln breitete sich auf Ferris’ Gesicht aus, ein wahres Walrosslächeln. Jetzt war es also so weit. Hoffman nahm ihn am Arm und zog ihn durch den lang gestreckten Raum, in dem die vielen Analysten und Agenten ganz in ihre gefakten Dschihadisten-Websites und die Überwachung von Zielpersonen in aller Welt versunken schienen. Am Ende des Raumes blieb er vor einer Glastür stehen, die, soweit Ferris sich erinnern konnte, bisher stets verschlossen gewesen war. Hoffman zog seine Magnetkarte durch ein Lesegerät an der Wand, worauf sich die Tür öffnete. Er führte Ferris einen dunklen Gang entlang, bog nach rechts ab und öffnete eine weitere Tür.
    In dem Raum, den sie nun betraten, war es eiskalt, und Azhar, der von drinnen auf sie zutrat, trug eine dick gefütterte Jacke und Handschuhe. Der Raum war dunkel bis auf ein fluoreszierendes Leuchten in einer Ecke. Das schwache Licht hatte eine geradezu kristalline Qualität, als ob man durch kleine Eisstückchen schaute. Ferris folgte Hoffman zu einem langen Tisch, auf dem die starre Leiche eines Mannes lag. Die blasse Haut, die sich über den Gesichtsknochen spannte, erinnerte Ferris an eine dünne Wachsschicht. Der Tote trug eine Bundfaltenhose und ein weißes Hemd.
    »Das ist der Knabe«, sagte Hoffman.
    Ferris berührte vorsichtig die kalte Haut des Leichnams. Es war seine erste Begegnung mit dem Toten, den Hoffman auf seine Anregung hin beschafft hatte, und er hatte dabei das seltsame Gefühl, als hätte er den Mann selbst auf dem Gewissen. Ferris dachte an das zerlesene Exemplar von Der Mann, den es nie gab, das ihn zu dieser Aktion inspiriert hatte. Der Leichnam, der vor fünfundsechzig Jahren in Spanien an Land gespült worden war, hieß Major William Martin und hatte bei den Royal Marines gedient. Damals hatte die Täuschung funktioniert – wie es bei Süleyman laufen würde, stand noch in den Sternen.
    »Solche Agenten sind mir am liebsten«, sagte Hoffman und gab dem Toten einen Klaps auf seine eiskalte Wange. »Sie machen den Mund nicht auf und widersprechen einem nie.«
    Ferris hörte die Witzchen seines Chefs schon gar nicht mehr. Er starrte auf den steifen, leblosen Körper und fragte sich, ob sein Plan wohl funktionieren würde und ob die verschiedenen Spiegel, die sie überall aufgestellt hatten, alle in die richtige Richtung zeigten.
     
    Weil es in dem Raum mit der Leiche viel zu kalt war, um sich in Ruhe zu unterhalten, verzogen sich Hoffman und Ferris schon bald in ein Konferenzzimmer nebenan und ließen Azhar bei dem Toten zurück. Auf dem Tisch in der Mitte des Raumes stand ein offener Aktenkoffer aus Metall, der von intensivem Gebrauch schon ziemlich zerkratzt und eingedellt war. An seinem Tragegriff war eine Kette mit einer Armschließe aus Stahl befestigt, die an ein Paar Handschellen erinnerte. Neben dem Koffer lag ein Stapel aus dünnen Aktenmappen.
    »Dann lassen Sie uns den Köder mal an den Haken hängen«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher