Der Mann, der niemals lebte
näherte, streckten die Soldaten ihre Gewehrläufe aus den Fenstern der beiden Geländewagen. Das war in solchen Gegenden die übliche Vorgehensweise: Man demonstrierte gerade so viel Überlegenheit, um sich Respekt zu verschaffen, vermied es aber, durch provozierende Handlungen feindliches Feuer auf sich zu ziehen. Und weder die Satellitenkamera hoch über ihren Köpfen noch die Paschtunen am Boden sahen die vier Scharfschützen, die sich in den Bergen versteckt gehalten hatten und am Morgen unbemerkt ins Dorf geschlichen waren.
Als Smite bei Azzam ankam, verhielt er sich genau so wie bei seinem letzten Besuch vier Monate zuvor. Er wartete in seinem Landrover, während ein Junge aus dem Dorf Azzam Bescheid sagte, und einige Minuten später trat der Paschtune umgeben von Leibwächtern aus dem Haus. Smite stieg aus dem Wagen und winkte Azzam zu sich. Der Stammesführer leistete der Aufforderung Folge, wie er es auch beim letzten Mal getan hatte. Er wollte ja schließlich sein Geld.
»Sachte, Baby, ganz sachte«, murmelte Hoffman vor sich hin, während er die Szene am Bildschirm verfolgte und dem von einem Satelliten übertragenen Ton lauschte. Man kam sich vor, als säße man hoch oben in einem Baumwipfel über dem Dorf und schaute auf das Geschehen hinunter.
Smite unterhielt sich auf Urdu mit Azzam, so laut, dass dessen Männer, die sich in etwa zwanzig Metern Entfernung postiert hatten, ihn noch hören konnten. Er sagte, er habe einen ganz besonderen Gast aus Washington, der unter vier Augen mit Azzam reden wolle. Er habe eine weite Reise zurückgelegt, um den mächtigen Führer von Kosa kennenzulernen und ihm seinen Gruß zu übermitteln.
Azzam schritt langsam und würdevoll auf den Wagen zu. Man sah ihm förmlich an, was er dachte: Warum sollten wir von diesen Narren aus Amerika denn kein Geld nehmen?
Smite hielt dem Stammesführer die hintere Tür auf, damit er auf den Rücksitz des Landrover steigen konnte. Kaum saß Azzam, betätigte Smite eine Zentralverriegelung, die verhinderte, dass die Türen von innen geöffnet werden konnten. Dann ging er ganz gelassen zu dem vorderen Geländewagen hinüber und stieg ein.
Vermutlich hatte Azzam gleich gespürt, dass etwas nicht stimmte, als er Harry Meeker regungslos neben sich auf dem Rücksitz sitzen sah, aber es dauerte dennoch ein paar Sekunden, bis er tatsächlich registrierte, dass der Mann tot war. Vielleicht hatte er zunächst jeden Augenkontakt vermieden, wie es sich hier gehörte, wenn man einem Gast Respekt erweisen wollte. Vielleicht war ihnen die Maskerade auch einfach nur so gut gelungen, dass Azzam erst einmal abwartete, bis der Mann im Anorak das Wort an ihn richtete. Aber nach etwa fünf Sekunden fiel der Groschen: Aus den Übertragungsgeräten im Inneren des Landrover drang ein schriller Schrei bis nach Langley. Aber da war es längst zu spät. Azzam konnte nicht mehr entkommen.
Auch die Soldaten in den anderen Fahrzeugen hörten den Schrei über ihre Kopfhörer. Auf dieses Signal hin brüllte der Kommandant den Anführer von Azzams Leibwache an, er solle seine Waffe fallen lassen. Der Paschtune brüllte zurück, und überall auf dem Dorfplatz wurden jetzt die Waffen auf den Gegner gerichtet. Solche bewaffneten Pattsituationen waren hier im Grenzgebiet an der Tagesordnung, und normalerweise ließen sich die Spannungen mit ein wenig Geschrei und äußerstenfalls ein paar Warnschüssen in die Luft wieder lösen. Doch diesmal fielen plötzlich Schüsse aus Schnellfeuerwaffen, und zwei der Paschtunen sanken zu Boden. Die verbliebenen eröffneten das Feuer auf die Geländewagen mit den Soldaten, aber die Geschosse ihrer kleinkalibrigen Kalaschnikows konnten deren Panzerung nicht durchdringen. Dafür wurde das dünne Blech des von allen Seiten unter Beschuss genommenen Landrover im heftigen Sperrfeuer regelrecht von Kugeln durchsiebt. Doch was den Paschtunen wie ein harter Kampf vorkam, war in Wahrheit bloß ein abgekartetes Spiel.
Azzams Männer konnten nicht ahnen, dass das ursprüngliche Feuer von einem zweiten Scharfschützen-Team eröffnet worden war, das weiter oben, hinter den Geländewagen, lauerte. Aus ihrer Deckung heraus hatten die Amerikaner die Leibwache die ganze Zeit im Visier gehabt. Einer der Schützen hatte eine Kalaschnikow, genau wie die Paschtunen. Er konzentrierte sich auf den Landrover und feuerte gezielt auf die Seite des Wagens ab, wo Harry Meeker saß, damit der auch mit Sicherheit getroffen wurde. Azzams Körper zuckte
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