Der Mann, der niemals lebte
Pascha. Darum bitte ich Sie, als Gegenleistung für das, was ich für Sie getan habe. Ich will diese Sache zu Ende bringen.«
Hani rutschte unbehaglich auf seinem Sessel herum. Jetzt hatte er begriffen, dass Ferris es ernst meinte. »Und was ist mit Alice?«, fragte er.
»Sie wird mich nie richtig lieben können, solange das alles nicht vorbei ist. Und deshalb muss ich die Sache zu einem Ende führen.«
»Also gut, mein lieber Roger. Ich höre. Solange Sie nur nicht das Gute wieder zerstören, das wir bereits erreicht haben.«
»Zuerst muss ich Ihnen eine Frage stellen: Haben Sie in Süleymans sicherem Haus in Aleppo eine Videokamera gefunden?«
»Ja, natürlich. Sie befand sich in dem Raum, in dem Sie verhört wurden – falls man das, was sie Ihnen da angetan haben, überhaupt so nennen will. Meine Männer haben sie mitgenommen, für den Fall, dass irgendetwas Wichtiges drauf ist. Sie müsste sogar noch hier sein.«
»Gut. Dann sind wir im Geschäft. Hören Sie mir jetzt gut zu, ustaas Hani. Sie sind der Lehrer, und ich bin Ihr Schüler. Aber trotzdem habe ich eine Idee für Sie.«
Und Hani hörte zu, während Ferris redete. Was hätte er auch anderes tun sollen? Ferris dachte laut, er fügte einen Plan zusammen und holte sich die Einzelteile dafür von Hoffman, von Hani, sogar von Süleyman, bis er etwas beisammenhatte, was halbwegs schlüssig klang. Der Jordanier blieb skeptisch. Er war keine leichtsinnige Spielernatur. Er wusste, wann es Zeit war, den Gewinn einzustecken und den Spieltisch zu verlassen. Doch Ferris musste in diesem Casino noch einmal mit hohem Einsatz spielen, und Hani versuchte nicht, ihm diesen Plan auszureden. Er wusste, ganz gleich, was er sagte, Ferris würde es dennoch versuchen. Und in diesem Sinne hatte nun Ferris die Macht. »Objektiv betrachtet« mochte er Hanis Agent sein, doch diese Operation gehörte ihm ganz allein.
Nikosia/Damaskus
Durch die dicke Glasscheibe in der Tür seiner Zelle konnte man Süleymans Gesicht deutlich erkennen. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen und wirkte angespannt und übernächtigt, doch selbst als Insasse dieses geheimen Gefängnisses auf Zypern, in das Hani ihn nach seiner Festnahme hatte bringen lassen, sah er immer noch aus wie ein Mann, der die Fäden in der Hand hielt. Man hatte ihm die weiße, gestrickte Gebetskappe und das lange, makellos saubere Gewand, das er in Aleppo getragen hatte, weggenommen und ihn stattdessen in Gefängniskleidung gesteckt, auch wenn diese nicht wie in Guantanamo aus einem orangefarbenen Overall bestand, sondern aus schlichten grauen Baumwollkleidern. Süleyman trug sie mit der ihm eigenen trotzigen Würde. Er würde nicht leicht zu knacken sein. Es würde blutige Folter brauchen, um ihn zum Reden zu bringen, und selbst wenn Hani dazu bereit gewesen wäre, so etwas zu tun, hätte es doch genau den Teil des Mannes zerstört, der ihnen die wirklich wichtigen Geheimnisse verraten konnte. Hani hatte sich darauf eingerichtet, so lange zu warten, bis er die psychologischen Mechanismen gefunden hatte, die Süleyman zum Reden brachten. Aber wie man es auch betrachtete, es würde ein schwieriger Fall werden.
»Warten wir, bis er von selbst auseinanderbricht«, hatte Ferris in Tripolis vorgeschlagen. Er hatte begriffen, dass man einen Felsblock nicht kleinkriegen konnte, indem man mit einem anderen Felsen blindlings auf ihn eindrosch, sondern dass man ihn allein entlang der bereits vorhandenen Risse knacken konnte. Hatte man diese erst einmal gefunden, brauchte man nur noch ganz sanften Druck anzuwenden. In dieser Hinsicht war Ferris ein Mann des Ostens geworden, der auf sein angeborenes Geschick vertraute. Auch Hani bemerkte das.
Um Zeit zu sparen, waren er und Ferris gemeinsam mit einem Hubschrauber von Tripolis nach Zypern geflogen. Hoffman, der in Amman wartete, wusste nicht, was vorging, genoss aber seinen unverdienten Erfolg. Alice wartete im Libanon auf Ferris, doch der wollte sie erst wieder sehen, wenn er ihr ganz gehören konnte und sich vom Joch seiner Lügen Voll kommen befreit hatte. Bis dahin gab es nur ihn und Hani. Seit ihrem Erlebnis in der schäbigen Wohnung in Berlin waren die beiden einen weiten Weg miteinander gegangen. Jetzt begann sich der Kreis zu schließen. Sie standen vor der Gefängniszelle ihres Gegners und schickten sich an, in dessen Gedankenwelt einzudringen.
Hani führte Ferris ein Stück weiter den Gang entlang zu einer leeren Zelle. Der Amerikaner trug die schmutzigen
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