Der Mann, der niemals lebte
werden glauben, Sie seien mein Agent. Und in gewisser Weise stimmt das ja auch.«
Ferris schloss die Augen und hob die unverletzte Hand an die Stirn, um sich die Schläfe zu massieren. Er musste unbedingt nachdenken. Wo stand er überhaupt? Und wo wollte er hin? Er hatte einen weiten Weg zurückgelegt, aber das hatte er wahrhaftig nicht getan, um jetzt mit dem Pascha im Wintergarten eines Krankenhauses in Tripoli zu sitzen.
Hani nahm einen letzten Zug von seiner Churchill und legte sie dann beiseite.
»Sie selbst sind nicht der Ansicht, dass Sie sich als Agent der jordanischen Geheimpolizei betätigt haben. Aber objektiv betrachtet waren Sie tatsächlich mein Agent: Ich hatte die Kontrolle über Sie, ich habe Sie auf Ihr Ziel angesetzt, Sie gesteuert. Der Umstand, dass Sie sich dessen nicht bewusst waren, ist meines Erachtens sekundär. Ganz gleich, was Sie sagen, ganz gleich, wie viele Lügendetektortests Sie erfolgreich absolvieren – Hoffman und seine Spießgesellen werden immer einen letzten Verdacht hegen. Es tut mir sehr leid, aber so ist die Lage.«
»Das ist völliger Blödsinn, Hani. Aber nehmen wir einmal an, es stimmt … was sollte ich dann Ihrer Meinung nach tun?«
»Die Sache ist doch die: Sie haben gewonnen. Sie können tun, was Sie wollen.«
Ferris schaute in das Licht, das hell und klar durchs Fenster hereinfiel und so viele dunkle Winkel erleuchtete. Hani hatte recht mit dem, was er sagte, zumindest mit einem Teil davon. Ferris hatte eine Grenze überschritten – jetzt konnte er nicht mehr zurück. Und dennoch hatte er das Gefühl, noch nicht fertig zu sein. Er war am Leben, aber so viele andere Menschen waren tot, und von den Mördern liefen noch zu viele frei herum. Er kam sich wie eine Marionette vor. Man hatte ihn mit großem Geschick bewegt, aber noch war die Geschichte nicht ganz vorbei. Das wusste er besser als jeder andere. Er hatte als Erster von Süleyman erfahren, aus dem Mund eines irakischen Agenten in jenem halbverfallenen Haus südlich von Tikris. Das war sein Fall, er gehörte ihm, nicht Hoffman und auch nicht Hani. Und er war noch nicht abgeschlossen. Hani irrte sich: Noch hatte Ferris nicht gewonnen.
Er schloss die Augen und sah das Gesicht seines Widersachers vor sich. Er rief sich das Zimmer in Aleppo in Erinnerung, den Stuhl, die Sperrholzplatte, auf der sie seine Finger festgezurrt hatten, die Videokamera auf ihrem Stativ und die diabolische Gewissheit in Süleymans Augen, dass er absolut Herr der Lage war. Er hatte einen Film drehen wollen, einen Film, der dann auf Al Dschasira laufen sollte. Aber wovon hätte er handeln sollen, Süleymans Film? Während Ferris noch über diese Frage nachdachte, wusste er plötzlich ganz genau, was er tun musste. Er wandte sich wieder an den Jordanier, diesen tadellos gekleideten Dandy und charmanten Betrüger.
»Also gut, Hani. Wie Sie wollen. Ich bin Ihr Agent – (objektiv betrachtet). Niemand wird jemals etwas anderes glauben. Aber jetzt, da ich zu Ihnen gehöre, müssen Sie mich noch auf eine letzte Mission schicken.«
»Und die wäre, mein lieber Roger?« Hanis Lächeln strahlte eine tiefe Befriedigung aus. Für ihn war das Stück vorbei. Ihm war offenbar nicht klar, dass Ferris noch einen letzten Akt schreiben wollte.
»Ich will Süleymans Netzwerk zerschlagen«, sagte Ferris.
Hani lachte. Er glaubte, Ferris wolle ihn zum Narren halten. »Seien Sie nicht so gierig, mein Freund. Das ist eine weitere Schwäche von euch Amerikanern. Wir haben Süleyman, und bald haben wir viele weitere seiner Leute. Reicht das denn nicht? Was wollen wir mehr?«
»Wir wollen seine Ideen beseitigen. Wir haben ihn geschnappt und ein paar seiner Leute, aber sie werden andere finden, die mindestens ebenso klug und zornig sind wie er. Schließlich haben sie ja den halben Irak als Rekrutierungsgebiet. Unsere Aufgabe ist längst nicht erledigt. Als ich noch für Hoffman gearbeitet habe, wollte ich ein Gift zusammenmischen, das alles zerstört, was jemals mit Süleyman in Berührung gekommen ist. Ich wollte alles radioaktiv verseuchen, sein Gedankengut und seine Leute, und zwar mindestens für die nächsten hundert Jahre. Genau das brauchen wir immer noch: eine Giftpille. Und die kann ich sein.«
»Was reden Sie denn da, Roger? Sie sind krank und verletzt, Sie können doch kaum gehen.«
»Aber ich kann denken. Ich kann endlich aufhören, dumm zu sein, und stattdessen versuchen, intelligent zu handeln. Und Sie können mir dabei helfen, Hani
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