Der Mann, der niemals lebte
Kleider, die er schon in Hama angehabt hatte: eine zerknitterte Hose, ein nach Schweiß stinkendes Hemd. Sein Gesicht war rot verquollen, denn er hatte darauf bestanden, dass Hanis Männer ihn genau so in die Mangel nahmen wie einen kleinen Informanten, dem sie einen Denkzettel verpassen wollten. Sie hatten auch den Verband von seiner Hand abgenommen, sodass der Stumpf des amputierten kleinen Fingers, aus dem noch immer gelbliches Wundsekret austrat, in seiner ganzen brutalen Hässlichkeit zu sehen war. Ferris war bereit für das Verhör – nur war es nicht Süleyman, der verhört werden würde, sondern er, Roger Ferris.
Er setzte sich auf einen grob zusammengezimmerten Holzstuhl und wartete, bis Hanis Männer ihn an Händen und Füßen gefesselt hatten. Die Verhörzelle war eng und feucht, an den schimmeligen Wänden lief in langen Tropfen Kondenswasser herab. Direkt vor Ferris saß Hani, der eine schwarze Skimaske trug, und neben ihm stand auf demselben Stativ wie in Aleppo Süleymans Videokamera.
»Fangen wir an«, sagte Ferris. Hani drückte auf den Aufnahmeknopf der Kamera, und Ferris fing an zu reden. Er sprach Englisch, mit der abgehackten, heiseren Stimme eines Mannes, dem man den letzten Widerstand aus dem Körper geprügelt hatte.
»Mein Name ist Roger Ferris.« Seine Worte klangen rau und entstellt, als müsse er die Kraft dafür irgendwoher aus den Tiefen seiner Eingeweide ziehen. »Ich bin Amerikaner und arbeite für die CIA.«
Ferris starrte auf den Stumpf seines rechten kleinen Fingers als befürchte er, man könne ihm die anderen Finger auch noch kaputt schlagen. Hani wies ihn barsch zurecht, er solle gefälligst arabisch sprechen und endlich seine Geschichte erzählen, woraufhin Ferris in matt klingendem Schularabisch noch einmal von vorne anfing:
»Mein Name ist Roger Ferris. Ich bin Amerikaner und arbeite für die CIA. Dies ist mein Geständnis. Viele Jahre lang war ich Teil einer Operation, deren Ziel es war, die al-Qaida zu infiltrieren. Wir haben versucht, fromme Muslime dazu zu bringen, einem von uns gesteuerten Mann zu folgen. Dafür entschuldige ich mich bei allen Muslimen.«
Ferris hörte auf zu reden und warf einen angsterfüllten Blick zu Hani hinüber. Der Jordanier gab ihm eine schallende Ohrfeige. Ferris’ Stöhnen war nicht gespielt: Hani hatte sehr kräftig zugeschlagen, und seine Wange färbte sich tiefrot.
»Sag den Namen«, brüllte Hani. »Den Namen eures Agenten.«
Ferris rang nach Worten, und sein Blick wanderte hektisch zwischen der Kamera und Hani hin und her.
»Unser Agent ist ein Syrer. Er heißt Karim al-Shams, aber er nennt sich Süleyman, wie Süleyman der Prächtige. Er gibt vor, Operationen für die al-Qaida zu planen, hat aber die ganze Zeit über für die CIA gearbeitet. Wir sind die Diener des Teufels gewesen. Dafür entschuldigen wir uns bei allen Muslimen auf der ganzen Welt.«
Hani holte aus und schlug Ferris so heftig ins Gesicht, dass er vom Stuhl fiel. Erst als er wimmernd am Boden lag, stellte Hani die Videokamera ab.
»Meine Güte«, sagte Ferris und hielt sich, nachdem Hani ihm die Fesseln gelöst hatte, die verletzte Wange. »Das war gut. Verdammt gut.«
Hani bestand darauf, dass ein zypriotischer Arzt geholt wurde und nach Ferris sah. Natürlich war es wichtig, dass die Brutalität vor der Kamera echt wirkte, aber er hatte ihn auch nicht blutig schlagen wollen. Er bestand darauf, dass Ferris sich eine Stunde lang ausruhte, und ließ ihm etwas zu essen bringen. Den hochprozentigen Arrak, den Hani ihm ebenfalls anbot, lehnte Ferris ab. Jetzt kam der wichtigste Teil seines Planes, und dafür brauchte er einen klaren Kopf, ganz gleich, wie sehr er auch schmerzte.
Ferris legte graue Gefängniskleidung an und ließ sich von Hani zu einem großen Verhörzimmer führen, in dem drei Stühle standen. Er setzte sich auf einen davon und ließ sich erneut an Händen und Füßen fesseln. Dann verließ Hani den Raum. Ferris wusste, dass hinter der einseitig verspiegelten Glasscheibe an einer Wand des Zimmers eine aufnahmebereite Videokamera stand. Sie war auf den Stuhl gerichtet, der neben seinem stand.
Nach zehn Minuten führten zwei Wachen den humpelnden Süleyman ins Zimmer. Er trug Hand- und Fußschellen, und die Wachen drückten ihn brutal auf den Stuhl neben Ferris. Ferris hob den Kopf. Sein Gesicht sah sehr viel mitgenommener aus als das von Süleyman, und der Syrer schien ihn zunächst nicht zu erkennen. Als ihm schließlich doch klar wurde,
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