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Der Mann, der niemals lebte

Titel: Der Mann, der niemals lebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ignatius David
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renommierten Anwaltskanzlei einsteigen und vierhunderttausend Dollar im Jahr einstreichen – eine Summe, an die Ferris nur dann herankommen könnte, wenn er die ihm zur Verfügung gestellten Gelder veruntreute, und das war nun mal nicht seine Art. Zumindest noch nicht. Und Christina würde ihm die Scheidung bestimmt nicht leicht machen.
    Sie hatte sich schon immer ziemlich hart und unnachgiebig gegenüber Menschen verhalten, die ihr unterlegen waren, was auf so ziemlich jeden zutraf. Schon in ihrer Anfangszeit an der Universität hatte sie ihm erklärt, dass sie bei der nächsten Wahl für die Republikaner stimmen würde, was sie vielleicht als eine Art Warnung gemeint hatte. Ferris, den Politik ohnehin langweilte, war das egal gewesen. Christina konnte wählen, was sie wollte – ihn faszinierte vor allem ihre verblüffende Selbstdisziplin und diese unangestrengte Zuversicht, die man normalerweise eher bei ehrgeizigen jungen Männern findet. Aber weshalb hatte Ferris sich in sie verliebt? Zum Teil war es dieser Glanz gewesen, den sie ausstrahlte: Sie wusste, wie man Erfolg hatte, und vermittelte ihm schon allein dadurch, dass sie ihn in ihre Nähe ließ, das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Außerdem dachte sie wie er. Als er für Time über den islamischen Extremismus recherchiert hatte, war sie eine der wenigen gewesen, die erkannten, worum es dabei wirklich ging. »Diese Leute sind gefährlich«, hatte sie gesagt. »Du musst etwas gegen sie unternehmen, Roger.«
    Christinas Meinung nach waren sie zusammen, weil sie beide perfekt waren. Das hatte sie immer wieder gesagt. Und es stimmte ja auch, zumindest was sie betraf: Sie war einfach umwerfend, genau die Frau, mit der man um die Weihnachtszeit gerne die 5 th Avenue entlangschlendert. Sie trug am liebsten Rot, hörte U2 und ließ sich gern in teuren Wellness-Oasen verwöhnen, und wenn sie betrunken war, hatte sie diesen köstlich trashigen »Nimm-mich«-Blick in ihren dunkelbraunen Augen. Sie pochte beinahe kategorisch auf ihr Recht auf Lustempfinden, als hätte sie sich vorgenommen, jeden ihrer Orgasmen zur Bank zu bringen, um ihn dort ein Leben lang aufzubewahren. Und danach schlief sie tief und fest wie eine Katze, während Ferris neben ihr oft noch stundenlang wach lag und sich fragte, weshalb er sich so einsam fühlte.
    Warum hatten sie überhaupt geheiratet? Sie fanden das damals irgendwie angesagt, alle ihre Freunde heirateten ebenfalls. Es war wie an der Börse: Wenn alle kauften, ließ man sich eben mitziehen. Immerhin liebte Ferris keine andere als sie, und als er im Jemen stationiert gewesen war, hatte Christina zwei Jahre lang auf ihn gewartet und ihm bei seiner Rückkehr gesagt, jetzt sei »ihre Zeit« gekommen. Sie bezogen eine Wohnung in Kalorama, und kurz vor dem 11. September 2001 trat Christina ihre Stelle im Justizministerium an.
    Christina hatte immer schon patriotische Gefühle gehegt, aber seit dem 11. September fühlte sie sich wie auf einer persönlichen Mission. Wenn Ehrgeiz auf Prinzipien trifft, kommt es manchmal zu einer Art chemischer Reaktion, die einen Menschen grundlegend verändern kann. Bald verfolgte sie im Ministerium ihre Ziele mit einer Heftigkeit, die Ferris nicht unbekannt war, ihn aber zutiefst beunruhigte. Hinzu kam, dass sie sich auf einmal für Sachen interessierte, die eigentlich in seinen Aufgabenbereich fielen. Eines Abends stellte sie Ferris hartnäckig Fragen nach bestimmten Verhörmethoden. Wie sehr musste man einem Menschen wehtun, bis er anfing zu reden? Wie lange brauchte er, bis er sich wieder von einem solchen Verhör erholt hatte? Das war kein oberflächliches Geplauder über Verhörmethoden – falls es so etwas überhaupt gibt. Ferris hatte eher den Eindruck, dass Christina die Informationen für irgendeinen konkreten Fall benötigte. Als er ihr sagte, er wisse auch nicht viel mehr als das, was man ihm auf der Farm beigebracht habe, war sie sichtlich enttäuscht.
    Weil sie aber nicht lockerließ, erzählte Ferris ihr schließlich, dass er nur ein einziges Mal ein solches Verhör mitgekriegt hatte, und zwar im Jemen. Die dortige Geheimpolizei hatte einen Mann gefasst, der angeblich bei der al-Qaida war, und ihn drei Tage lang geschlagen. Und zwar mit einem Kricket-Schläger, daran konnte sich Ferris noch gut erinnern. Sie hatten ihn stets nur so bearbeitet, dass er nicht das Bewusstsein verlor und den Schmerz des nächsten Schlages voll mitbekam. Als er schließlich nicht mehr konnte, spuckte der

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