Der Mann, der niemals lebte
dasselbe Ziel, da bin ich mir ganz sicher. Wieso arbeiten wir dann nicht zusammen?«
»Weil es meine Operation ist. Ich lasse Sie gerne an den Ergebnissen teilhaben, aber Sie müssen mir freie Hand lassen. Und zwar, weil ... ich will ganz ehrlich zu Ihnen sein, mein Lieber ... weil Sie gar keine andere Wahl haben.« Hani lächelte, und Ferris fand ihn wirklich reizend, obwohl er ihm mit seiner Entscheidung gehörig das Leben schwer machte.
»Das wird Hoffman gar nicht gefallen«, sagte er.
» Ma’alesh. Sein Pech. Er wird es überleben. Niemand liebt die Amerikaner mehr als ich.«
»Dafür zahlt Langley hier ja auch eine Menge Rechnungen.«
»Soll das etwa eine Drohung sein, mein lieber Roger? Wissen Sie eigentlich, wie entzückend Sie sind, wenn Sie den CIA- Chef herauskehren? Ich kann Ihnen nur raten, nicht denselben Fehler zu machen wie Ihr Vorgänger, sonst müssten wir auch Sie des Landes verweisen.«
Der Jordanier lächelte, und seine Augen blitzten vor Selbstvertrauen. Auch wenn hier niemand freiwillig über die Pflichtverletzungen von Ferris’ Vorgänger Francis Alderson sprach, schienen sie doch allen noch gut im Gedächtnis zu sein. Hani klopfte Ferris auf den Rücken. »Ich verstehe natürlich, dass Sie gerade für die großen Bosse in Langley sprechen, Roger. Aber wenn Sie mir auf diese Weise drohen, zeigen Sie mir nur, wie machtlos Sie sind, also lassen Sie das in Zukunft lieber bleiben. Und raten Sie Ihrem Abteilungsleiter, bei seinem Besuch hier lieber auch nicht in dieses Horn zu stoßen, sonst wird er das mit Sicherheit bereuen. Müssen wir noch mehr Worte über diese Sache verlieren?«
»Nein«, sagte Ferris. »Aber ich kann nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, wie Mr. Hoffman reagieren wird.«
»Gut wird er reagieren. Sie sind im Krieg, da muss man seinen Freunden vertrauen. Und jetzt trinken Sie Ihren Tee.«
Am Abend fuhr Ferris zu seiner Wohnung in Schmeisani. Sie lag im obersten Stockwerk eines Gebäudes, das einem pensionierten palästinensischen Ingenieur gehörte, und bot einen herrlichen Ausblick auf die milchweiße Stadt und die dahinter aufragenden Berge. Ferris trat hinaus auf den Balkon. Es war früher Abend, und er konnte sehen, wie es in den Bergen langsam dunkel wurde. Er goss sich einen Wodka ein, setzte sich in einen Liegestuhl und blickte hinüber zu den in der Ferne funkelnden Lichtern von Jerusalem. Normalerweise mochte er das Alleinsein und genoss die Stille seiner leeren Wohnung. Auch im wirklichen Leben braucht man ein sicheres Haus, dachte Ferris, allerdings nicht immer, und heute Nacht schon gar nicht.
Er dachte kurz an seine Frau. Christina schrieb ihm hin und wieder Briefe, die eine Mischung aus detaillierten Schilderungen ihres Berufsalltags im Justizministerium und romantischen Passagen waren, die sich so lasen, als hätte sie sie aus der Cosmopolitan abgeschrieben. Christina hatte für alles eine feste Schublade – Sex, Juristerei, Politik –, und sie war auf all diesen Gebieten eine Meisterin. Obwohl Ferris versuchte, liebevoll an sie zu denken, entglitt ihm ihr Bild immer wieder. Und er wollte es auch nicht mehr festhalten. Ferris stellte erstaunt fest, dass es ihm egal war, ob sie mit einem anderen Mann ins Bett ging. Vielleicht war das ein Hinweis darauf, dass auch er ihr bereits untreu war, zumindest im Geiste.
Die Leere in Ferris’ Leben füllte seit drei Wochen eine Frau namens Alice Melville aus. Sie hatten sich in Amman kennengelernt, und Ferris hatte Alice vom ersten Augenblick an gemocht und sie spontan zum Abendessen eingeladen. Bevor er in das Lokal ging, hatte er sich rasch seinen Ehering vom Finger gezogen, was er bisher noch nie getan hatte. Nach dem Essen hatte er Alice zu sich nach Hause eingeladen. »Fordern Sie Ihr Glück nicht heraus«, hatte sie ihm geantwortet, und als Ferris daraufhin ein betretenes Gesicht gemacht hatte, war sie auf ihn zugetreten, hatte ihm einen Kuss auf die Wange gegeben und geflüstert: »Ich nehme es zurück. Fordere dein Glück heraus. Aber nicht heute Abend.«
Ferris mochte Alice auch deshalb, weil sie so ganz anders war als seine Frau. Christina war ein Mensch, für den die wichtigsten Entscheidungen im Leben alle bereits gefällt waren, wohingegen Alice den Eindruck machte, als stünden für sie noch einige Fragen offen. Sie arbeitete mit palästinensischen
Flüchtlingen und sprach mit großem Mitgefühl über das Leid der Araber. Ferris’ CIA-Kollegen hätten ihr vermutlich auf Anhieb
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