Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Mann, der niemals lebte

Titel: Der Mann, der niemals lebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ignatius David
Vom Netzwerk:
redselig. Sie erzählte ihm viel von ihrer Arbeit mit palästinensischen Flüchtlingskindern. Sie war bei einer nicht staatlichen Organisation beschäftigt, die Unterstützungsarbeit in den Lagern leistete, wo immer noch viele mittellose Palästinenser lebten. Ferris nannte die Organisation »Kinderhilfswerk«, obwohl sie offiziell als »Hilfswerk für Nahost-Unterstützung« firmierte.
    »Diese Flüchtlinge haben keinerlei Hoffnung mehr ...« Alice flüsterte, als würde sie ihm ein Geheimnis verraten. »Ihr Zorn ist das Einzige, was sie noch am Leben hält. Sie hören auf die geistlichen Führer der Hamas und des Islamischen Dschihad. Sie kaufen diese Tonbänder von Osama bin Laden. Und wenn sie sich schlafen legen, träumen sie vermutlich davon, Israelis und Amerikaner umzubringen. Und jetzt zu allem Überfluss auch noch Italiener.«
    »Nur dich nicht«, sagte Ferris. »Dich wollen sie ganz sicher nicht umbringen.« Sie sprach so ernst über dieses Thema, doch er war einfach nur hingerissen von ihrem Anblick. Der Schein des Heizstrahlers ließ ihr Haar rötlich schimmern. Ferris beugte sich näher zu ihr hin, als wolle er ihr aufmerksamer zuhören. Im Ausschnitt des Kleides sah er den Ansatz ihrer Brüste, die sich beim Sprechen hoben und senkten.
    »Nein, mich nicht. Mich respektieren sie. Und zwar, weil ich ihnen zuhöre. Hörst du ihnen auch zu, Roger? Hört die amerikanische Regierung ihnen zu? Oder wollen wir sie im Grunde nur alle abknallen?« Ferris hatte ihr erzählt, dass er in der amerikanischen Botschaft: arbeite. Das war seine offizielle Tarnung.
    »Natürlich höre ich ihnen zu. Und der Botschafter hört ihnen auch zu. Das tun wir alle. Ich rede sogar mit ihnen.« Er ließ ein paar Sätze in fließendem Arabisch folgen, sagte ihr, wie wunderschön sie im Mondlicht aussehe und dass er hoffe, sie werde heute Abend noch mit zu ihm kommen.
    Sie überraschte ihn, indem sie in ganz passablem Arabisch antwortete. Sie sagte ihm, sie finde ihn sehr attraktiv, doch sein Schicksal hänge vom Willen Gottes ab. Dann fuhr sie auf Englisch fort: »Und das Süßholzraspeln kannst du dir sparen, Ali Baba. Bei mir wollten schon mehr Leute landen als ...« Sie dachte einen Augenblick nach. »... als Curt Schilling Bälle geworfen hat. Aber das bringt nichts.«
    »Red-Sox-Fan, was?«
    »Klar doch.«
    »Ich will ja gar kein Süßholz raspeln. Das Dumme ist nur, dass ich mich unwiderstehlich zu Blondinen hingezogen fühle, die Arabisch sprechen.«
    Alice verdrehte die Augen und ließ den Blick über die Araber wandern, die an den anderen Tischen saßen. »Da bist du ja hier in bester Gesellschaft. Aber im Ernst, Roger, ich möchte wirklich wissen, was man den Menschen hier bei der Botschaft erzählt. Entschuldigt ihr euch bei ihnen dafür, dass Amerikaner Muslime umbringen? Sprecht ihr ihnen euer Mitgefühl aus, weil ihre Häuser zerstört und ihre Kinder getötet worden sind? Sagt ihr ihnen, dass der Eindruck täuscht, wir würden die rechtsgerichteten Spinner in Israel unterstützen? Sagt ihr ihnen, dass es ein Fehler war, in den Irak einzumarschieren und ihn in tausend kleine Einzelteile zu zersprengen? Oder was erzählt ihr ihnen sonst? Das würde ich wirklich gern wissen.«
    Ferris stöhnte auf. Er war schließlich kein Diplomat, sondern Geheimagent. »Müssen wir denn unbedingt darüber reden?«
    »Nein. Du kannst mir auch sagen, dass mich das alles nichts angeht. Dann gehe ich allerdings jetzt nach Hause.«
    Ferris erschrak bei der Vorstellung, sie könnte tatsächlich gehen. »Also gut. Lass mich überlegen. Wenn die Leute sich bei mir beklagen, sage ich ihnen, dass ich ihren Standpunkt durchaus verstehen kann. Ich sage ihnen, dass ich nicht für die Politik der amerikanischen Regierung verantwortlich bin. Manchmal sage ich ihnen auch, dass ich ihr Anliegen weiterleiten werde. Das ist doch mal eine gute Aussage, oder? Ich werde Ihr Anliegen weiterleiten.« Er bemühte sich um einen scherzhaften Ton, aber damit kam er bei Alice nicht an.
    »Du hast überhaupt nicht begriffen, was ich meine! Du sitzt da den ganzen Tag in deiner Botschaft, während ich draußen mitten in der Schusslinie stehe. Und das meine ich wirklich so, Roger. Ich muss mir jeden Tag anhören, wie diese Leute auf mich einschimpfen. Kannst du dir vorstellen, was letzte Woche in den Lagern los war, als die Nachricht von der Autobombe in Mailand kam? Sie haben gejubelt! Sie waren so außer sich, dass ich mir ein paar Freunde zum Schutz herbestellen

Weitere Kostenlose Bücher