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Der Mann, der niemals lebte

Titel: Der Mann, der niemals lebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ignatius David
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strich ihr ein paar Haarsträhnen aus dem verschlafenen Gesicht. »Es ist halb so wild«, sagte er. »Aber ich muss diese Angelegenheit trotzdem klären. Außerdem möchte ich mit meiner Frau sprechen.«
    Sie nickte. »Wann kommst du wieder?«
    Ein Muskel zuckte in Ferris’ Gesicht. Er verlagerte sein Gewicht vom schlechten auf das gute Bein. Er wusste nicht, wann er zurückkommen würde. Wenn Hani Ernst machte, vielleicht niemals mehr.
    »So schnell wie möglich«, antwortete er schließlich. »Und ich rufe dich an, sooft ich kann. Ist dir das recht?«
    »Natürlich. Solange du auch wirklich zurückkommst.«
    Er antwortete nicht sofort. Nach seiner Erfahrung gab man Treueschwüre nur ab, wenn es einen Grund gab, an der Treue zu zweifeln. Er dachte an das, was Hani gesagt hatte: Jedes zusätzliche Wort verstärkt nur das Gefühl von Unsicherheit.
    »Ich will dich nicht verlassen.« Seine Gefühle klangen deutlich in seiner Stimme mit.
    »Ach, Roger.« Sie schüttelte den Kopf und hatte Tränen in den Augen. »Versprich mir eines: Wenn du feststellst, dass du es doch nicht ernst mit mir meinst, musst du es mir sagen. Ich möchte nicht verletzt werden. Ich habe ein gutes Leben hier, das mich glücklich macht, und ich möchte nicht wieder unglücklich sein.«
    »Ich könnte dir niemals wehtun«, sagte Ferris. Sie nickte und drehte ihm den Rücken zu. Und als sie zurück ins Schlafzimmer ging, dachte Ferris: So fühlt sich das also an. Dieses Gefühl von Hilflosigkeit – das muss Liebe sein.

 
Langley/Washington  
    Die Autobombe in Frankfurt explodierte, als Ferris noch auf der Heimreise war. Während des Zwischenstopps in London rief er den diensthabenden Beamten in der Nahost-Abteilung an, um ihn zu fragen, ob er gleich wieder umdrehen und zurück nach Jordanien fliegen solle, bekam aber nur ein Nein zu hören. Hoffman wollte ihn in Washington haben, und zwar so schnell wie möglich. Auf dem Flughafen Heathrow war es offensichtlich, wie verängstigt die Leute waren. Sie drängten sich vor den Fernsehbildschirmen in den Abflughallen, um die Nachrichten zu sehen. Verschiedene Flüge wurden wegen erhöhter Sicherheitsstufen gestrichen.
    Noch aus London rief Ferris Alice an. Sie hatte die Nachrichten aus Frankfurt noch gar nicht gehört. Ferris sagte ihr, sie solle vorsichtig sein, aber sie lachte nur. »Ich? Sei du mal lieber vorsichtig. Ich bin schließlich nicht der Auslöser für diesen ganzen Ärger.« Ferris lachte mit, aber es fiel ihm schwer. Er sehnte sich zurück nach Hause, zu ihr. Während seiner Ehe mit Christina hatte er nicht ein einziges Mal den Wunsch verspürt, sich mit ihr einzuigeln und die Welt draußen einfach verschwinden zu lassen. Christina gehörte zu dieser Welt – das war es, was sie ausmachte. Alice dagegen hielt sich in einer anderen Sphäre auf, die Ferris nach wie vor sehr geheimnisvoll erschien. Und genau dort wollte er jetzt sein.
     
    Auf der langen Reiseetappe zwischen London und Washington brütete er vor sich hin. Hoffman und er verloren an Boden. Sie hatten ihre wenigen kostbaren Chancen verspielt, in das feindliche Netzwerk vorzudringen. Und dabei war er keinen Deut besser gewesen als Hoffman. Er war zu ungeduldig gewesen, zu gierig, und jetzt hatte er die Spur des Gegners verloren. Ihm grauste davor, in die CIA-Zentrale zurückzukehren. Das lag nicht nur an der tristen Linoleumatmosphäre dort, auch nicht an der rasch veralteten, »modernistischen« Sechzigerjahre-Architektur, sondern vor allem an der Beamtenmentalität, die sich wie Hausschwamm im ganzen Gebäude ausbreitete. Natürlich hatte auch Ferris bei seinem Eintritt in die CIA die elitäre Wir-sind-alle-eine-große-Familie-Rhetorik zu hören bekommen, und bei einem Geheimdienst hätte er damals nie dasselbe selbstgefällige Bürokratentum vermutet wie bei den Time-Angestellten. Aber da hatte er sich getäuscht. Es war sogar noch schlimmer. Bei der CIA log man sich schon so lange selbst in die Tasche, dass die Mitarbeiter längst die Fähigkeit verloren hatten, zwischen Wunschdenken und Realität zu unterscheiden. Und weil Versagen als inakzeptabel galt, machte die CIA aus ihrer eigenen Sicht niemals Fehler. Die Leute, die dort arbeiteten, glaubten an ihre eigenen PowerPoint-Präsentationen.
    Ferris hatte sich ein Buch aus der Bibliothek des British Council mitgenommen, in das er sich jetzt vertiefte, um sich abzulenken. Auch die Briten standen schon einmal kurz vor dem Ende: 1940, nach der Niederlage Frankreichs,

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