Der Mann, der niemals lebte
Schritten lag eine mühsam unterdrückte Gewaltbereitschaft wie bei einem Berufsboxer auf dem Weg in den Ring.
Als er die Tür zu Ferris’ Beobachtungsposten öffnete, befürchtete Ferris schon, dass er ihn gleich hier an Ort und Stelle erschießen würde. Hani ballte die Fäuste, allerdings nicht, weil er Ferris schlagen wollte, sondern weil er seine Gefühle nicht anders unter Kontrolle bringen konnte.
»Ich möchte Sie niemals wiedersehen«, sagte er mit bebender Stimme. »Wir hatten einen guten, sorgfältig durchdachten Plan für Karami, mit dem er Ihnen und uns wichtige Informationen hätte liefern können. Vielleicht hätte er uns sogar an unser beider Ziel geführt. Jetzt haben wir ihn für immer verloren, und das alles nur wegen Ihrer Dummheit und Ihren Lügen.«
Empört und angewidert schaute er Ferris ins Gesicht und schüttelte den Kopf. Wie hatten diese Amerikaner nur so dumm sein können? Es war vorbei. Hani ging zur Tür, blieb dann aber noch einmal stehen und drehte sich zu Ferris um.
»Ich weiß genau, was Sie getan haben. Wir haben im Arabischen ein Wort dafür: taqiyya. Es stammt aus der Zeit des Propheten und bezeichnet eine Lüge, die man erzählt, um sich vor den Ungläubigen zu schützen. Weil sie nicht glauben, kann man ihnen jede beliebige Lüge erzählen. Genau das haben Sie und Ed Hoffman mit mir versucht. Aber das war ein schwerer Fehler.«
»Es tut mir leid«, sagte Ferris.
»Schweigen Sie, Mr. Ferris. Noch ein Wort, und ich töte Sie.« Er drehte sich um, ging aus der Tür und ließ Ferris in diesem grauenvollen Gefängnis tief unter der Erde zurück.
Durch das Fenster konnte Ferris sehen, wie die Wachen im Verhörzimmer den Gefangenen losbanden und wegführten. Jetzt, wo er geknackt war, würde Hani alles aus ihm herausholen: jeden Kontakt, mit dem er zu tun gehabt hatte, jeden Nachttopf, in den er jemals gepinkelt hatte. Aber die Amerikaner würden von alledem nie etwas erfahren.
Ferris wartete noch eine Weile und fragte sich, ob ihn wohl jemand holen kommen oder ob auch er wie die anderen Gefangenen hier unter der Erde verrecken würde. Schließlich kamen die beiden Männer, die ihn zu Hanis Büro gebracht hatten, und führten ihn mehrere schmutzige, schlecht beleuchtete und nach Fäkalien stinkende Gänge entlang. Aus den Zellen drangen Schreie, die darauf schließen ließen, dass die Insassen starke Schmerzen hatten oder komplett verrückt geworden waren.
Am Ende des letzten Ganges kamen sie zu einem alten, mit einem Scherengitter verschlossenen Aufzug, der groß genug für eine ganze Viehherde war. Das musste der Aufzug für die Gefangenen sein, dachte Ferris. Im Fahrstuhl roch es, als hätten bereits etliche Leute auf der Fahrt in dieses Haus des Todes vor lauter Angst in die Hose gemacht.
Langsam und klappernd ruckelte der Fahrstuhl nach oben. Als sich die Tür öffnete, erblickte Ferris weiteren Schmutz und Schutt, roch erneut den ekelerregenden Gestank der Gefangenschaft und sah im Licht der Neonlampen ein paar verängstigte Gesichter hinter den Gitterstäben enger Zellen. Als die Soldaten ihn zu einer verriegelten Tür führten, flehte ein Gefangener Ferris auf Englisch an, er solle sich bei seiner Botschaft für ihn einsetzen, ihn hier herausholen. Die Tür öffnete sich, und die Soldaten schoben Ferris hinaus ins Freie. Es war inzwischen dunkel geworden, doch am düstergrauen Himmel waren weder Mond noch Sterne zu sehen.
Ferris’ Geländewagen stand auf der anderen Straßenseite. Er stieg ein, ließ den Motor an und rechnete dabei fast damit, dass der Wagen in die Luft fliegen würde. Aber nein, das war nicht Hanis Stil. Ferris fuhr zurück zur Botschaft, schickte über den sicheren Kanal eine Mitteilung an Hoffman und sprach eine Stunde später kurz mit dem Abteilungsleiter am Telefon. Hoffman klang enttäuscht, aber nicht sonderlich zerknirscht.
Am nächsten Vormittag ging Ferris’ Flug zurück nach Washington, es wäre nicht klug gewesen, auch nur einen Tag länger zu bleiben. Auf dem Weg zum Flughafen machte er bei Alices Wohnhaus halt und weckte sie. Sie merkte sofort, dass etwas nicht in Ordnung war.
»Was ist denn los, Liebling?«, fragte sie. Es war das erste Mal, dass sie ihn »Liebling« nannte.
»In der Arbeit ist was schiefgegangen«, erklärte Ferris. »Sie wollen, dass ich nach Hause fliege und mit den Leuten im Außenministerium rede.«
»Steckst du in Schwierigkeiten? Es ist etwas Schlimmes passiert, nicht wahr? Ich sehe es dir an.«
Er
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