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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
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Aufruhr am Rande der Stadt nicht bemerkt hatte.
    Harper hatte den Artikel überflogen, müde gegrinst und ihr dann erklärt, er wolle auch einen Artikel über Tom schreiben und drucken lassen. Der würde allerdings etwas kürzer und nicht ganz so euphorisch ausfallen wie ihrer. Dann hatte er ihr vom Brand des Gefängnisses berichtet und davon, wie Tom Jim Hollis niedergeschlagen hatte und allem Anschein nach mit Huck geflüchtet war, denn als das Feuer endlich heruntergebrannt war, hatten sie in der Ruine des Gefängnisses keine Leichen gefunden. Bisher hatten auch die Bluthunde nicht angeschlagen, deswegen holte er sich Unterstützung bei jedem Mann, der sich eine Belohnung verdienen wollte.
    Becky hatte seinen Ausführungen schweigend gelauscht, den Sheriff nur entsetzt angestarrt, und als Harper verlangte, dass sie Toms Steckbrief für ihn druckte, hatte sie ihn kurzerhand hinausgeworfen.
    Etwas später war ihr Vater in die Redaktion gekommen. Sein Gesichtsausdruck hatte ihr schon verraten, in was für einer Stimmung er war, als er noch auf der Schwelle stand. Joe hatte geredet, und ihr Vater würde sie zurechtweisen, vermutete sie. Und damit lag sie richtig.
    Den Sheriff vor den Kopf zu stoßen sei für die Inhaberin einer Zeitung nicht gerade klug. Einen Druckauftrag abzulehnen, selbst wenn man den Inhalt der Drucksache nicht mochte, sei unprofessionell. Sich auf die Seite von Tom Sawyer zu schlagen, der die ganze Stadt in Aufregung versetzte, sei dumm, und so offensichtlich für ihn zu werben, sei einer richtigen Journalistin nicht würdig. Sid sehe das sicher genauso, bemerkte ihr Vater abschließend.
    Becky hatte sich kämpferisch gegeben, aber im Grunde wusste sie, dass er recht hatte. Sie hatte ihn hinauskomplimentiert, angeblich, weil sie noch so viel zu tun hatte. Tatsächlich wollte sie alleine sein.
    Als sie die Tür hinter ihrem Vater geschlossen hatte, war sie auf einen Stapel alter Zeitungen gesunken und hatte geweint. Fünf Minuten etwa, dann hatte sie sich ermahnt, nicht so eine Heulsuse zu sein, war aufgestanden, hatte sich gestrafft und den Artikel dennoch gedruckt. Ihr Vater mochte zwar recht haben, doch sie hörte aus allem nur seinen Unwillen heraus, dass sie Tom mehr Glauben schenkte als dem Sheriff. Zudem hatte sie ihn im Verdacht, Joe Harper mit der Belohnung auszuhelfen. Woher das Büro des Sheriffs 1 . 500 Dollar haben sollte, falls jemand die Belohnung kassieren würde, war ihr ein Rätsel.
    Und was Sid anging, da lag ihr Vater völlig falsch. Als Becky Sid gestern nach der Arbeit aufgesucht hatte, um mit ihm über Tom zu sprechen und um sich über die Gefühle klar zu werden, die ihr seit Tagen das Herz zerrissen, war er seltsam still und zurückhaltend gewesen. Mit zitternder Stimme hatte sie ihm gestanden, dass sie glaubte, sie brauche noch mehr Zeit. Sie sei durcheinander, und ja, sie könne nicht leugnen, dass dieser Zustand auch mit Toms Rückkehr zu tun habe.
    Und Sid hatte genickt. Mehr nicht.
    Zu ihrer grenzenlosen Überraschung war er nicht wütend geworden, hatte nicht geschrien und hatte auch nicht seine Leidensmiene aufgesetzt, wie er es sonst gerne tat, wenn ihm etwas nicht passte. Er hatte nur genickt und gemeint: »Ja. Vielleicht hast du recht. Vielleicht sollten wir noch etwas warten.« Dann hatte er schlicht bemerkt, er wolle heute bei ihr vorbeikommen, und sie würden sich dann in Ruhe über einen neuen Termin unterhalten.
    Becky konnte sich das nicht erklären. Was war nur in ihn gefahren? Von Wallace, dem Kassierer der Bank, hatte sie gehört, dass Tom bei seinem Bruder gewesen war und mit ihm gesprochen hatte, bevor er zum Gefängnis gerannt war. Hatte es damit etwas zu tun? Sie wünschte, Tom wäre hier. Sie musste mit ihm sprechen. Vielleicht könnte er ihr erklären, was mit Sid los war.
    Hatte Tom ihn bedroht?
    Sie kannte Tom seit ihrer Kindheit. Trotzdem war sie sich nicht sicher, ob er dazu imstande wäre. Wenn sie nur mit ihm sprechen könnte! Sie war krank vor Sorge, was mit ihm und Huck geschehen sein mochte. Waren sie in Illinois? Oder den Fluss hinunter nach St. Louis geflüchtet? Oder waren sie irgendwo in der Nähe? Sie wusste nicht, was sie tun würde, falls man die Leichen der beiden Männer irgendwo finden würde. Oder wenn der Mob sie fassen und lynchen würde.
    Tot oder lebendig.
    Becky ging an den Indianern vor dem Drugstore vorbei, während die Männer sie aufmerksam musterten. Ein Mann mit wettergegerbten Gesicht und mit einer Adlernase, ein

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