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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
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seiner Kindheit vor sich hin, bis er Beckys Hand auf der Schulter spürte und zusammenfuhr.
    Sie bedachte ihn mit einem sorgenvollen Blick. »Was willst du jetzt tun, Tom?«
    »Ich muss Joe Harper finden und mit ihm reden. Allein.«
    »Allein?«
    »Ja, allein. Was ist eigentlich mit Hollis passiert? Hast du ihn gesehen?«
    »Den Hilfssheriff?«
    »Meinen Hund.«
    »Sid hat gesagt, das Tier hat vor seiner Bank rumgejault, als du weg warst, und er hat ihn losgebunden. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
    Tom nickte bekümmert.
    Becky riss die Arme hoch. »Was ist los, Tom? Bist du hergekommen, weil du deinen Hund vermisst?« Er schwieg, und Becky verschränkte die Arme vor der Brust. »Wo ist Huck? Was ist passiert, Tom? Du hast etwas herausgefunden, stimmt’s? Etwas, was dir nicht gefällt, ich sehe es dir an. Ist Huck doch schuldig?«
    Tom schüttelte den Kopf. »Die Männer haben keine Ahnung, was eine Frau alles tun kann, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen«, gab er statt einer Antwort zurück.
    Becky kniff die Augen zusammen und schüttelte ebenfalls den Kopf. »Was soll das heißen, Tom?«
    Tom drehte sich um, blickte betrübt zu Boden und wies auf einen der Zeitungsstapel. »Setz dich«, sagte er, und als sie es widerstrebend tat, zog er die dürftige Perücke aus Schafwolle herunter und kratzte sich am Kopf. Bei Pinkerton hatte er nicht nur gelernt, wie man Verdächtige beschattete und Verfolger abhängte, sondern auch, wie man mit Verkleidung, falschen Haaren und einem anderen Gang, einer veränderten Körperhaltung zu einer anderen Person wurde. Fähigkeiten, die ihm jetzt sehr zupassgekommen waren.
    Er lehnte sich an die Druckerpresse und wischte sich die Asche aus dem Gesicht, mit der er sich im Lager der Potawatomi eingerieben hatte, um die Augenhöhlen tiefer und die Wangen hohler erscheinen zu lassen. Wo sollte er anfangen?
    »Ich war bei Sid, als ich den Rauch von dem brennenden Gefängnis sah.«
    Auf ihrer Stirn erschien eine Falte. »Warum warst du bei Sid?«
    Tom winkte ab. »Ist egal. Jedenfalls seh ich den Rauch, und mir war sofort klar, wo er herkommt.« Dann erzählte er ihr, wie er mit Huck aus dem Gefängnis geflohen war. Er sprach von den Schüssen und davon, was er auf der Insel gesehen und was er von Huck über Polly und Joe Harper erfahren hatte. Die Geschichte von Sid und Sally Austin sparte er aus, nicht jedoch, was er über Joe Harpers Neigungen erfahren hatte. »Ich hab das Kleid gefunden, Becky. Es lag zusammengeknüllt unter Hatties Bett.«
    Becky starrte ihn stumm an, dann schüttelte sie den Kopf. »Joe? Du glaubst, es ist Joe Harper?«
    Tom zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Es ist meine einzige Spur. Es würde vieles erklären. Du musst mir helfen, wir müssen ihn finden und ihn dann allein an einen Ort locken, wo ich ihn befragen kann.«
    Becky schüttelte den Kopf. »Das ist doch Irrsinn, Tom! Die halbe Stadt sucht nach dir. Sucht nach euch. Was, wenn Joe nicht redet? Was, wenn er es gar nicht ist?«
    Tom schob die Unterlippe vor. »Er muss reden. Wenn er es nicht ist, weiß ich auch nicht weiter.«
    Becky stand auf und trat an ihn heran. »Vielleicht solltest du einfach abhauen, Tom. Mit Huck oder allein. Sie werden euch lynchen, bevor du irgendetwas beweisen kannst.«
    »Und dich in St. Petersburg zurücklassen? Mit dieser Bestie, die frei herumläuft und Frauen entführt und weiß Gott was mit ihnen macht?«
    Sie seufzte und ließ den Kopf sinken. Dann kam sie noch einen kleinen Schritt näher, stand direkt vor ihm, die Füße zwischen seinen Beinen. Plötzlich umfasste sie zwei Finger seiner linken Hand. Sie drückte sie sanft, strich mit dem Daumen darüber, nahm dann seine Hand ganz in die ihre, presste sie an ihre Brust, als würde sie drei Hände zum Gebet brauchen.
    Tom hielt den Atem an. Es kam ihm vor, als würde es eine kleine Ewigkeit dauern, bis sie wieder aufblickte.
    »Was ist, wenn ich mitkomme, Tom?«
    Ihm war, als hätte sie ihn geohrfeigt. »Was?«
    »Wenn ich mitkomme. Mit dir. Nach … egal … Wohin du auch gehst. Ich meine nur, wenn du nicht hierbleiben kannst, wenn das nicht geht für dich, ich … Ich weiß es doch auch nicht … aber ich … ich will da sein, wo du bist. Egal, wo das ist.« Hilflos hob sie die Hände und ließ sie wieder sinken.
    Tom schüttelte den Kopf. Die Müdigkeit und ihre Worte machten, dass ihm das Blut in den Ohren rauschte und er sich benommen fühlte. Er blinzelte. »Becky, ich … weiß gar

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