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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
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und stieß die Türe auf. Mit ausgestreckten Armen schwenkte er die Waffe durch den Raum. »Becky?«
    Nichts, niemand zu sehen.
    »Bist du da? Mr Dobbins?«
    Keine Antwort. Vorsichtig spähte er durch die kleine Stube, lauschte nach oben. Ein Topf kochte auf dem Herd über, und Kohlsuppe verdampfte zischend auf der glühenden Herdplatte. Es roch angebrannt. Stühle lagen umgestürzt auf dem Boden, dazwischen Papiere, die vom Tisch gefallen waren. Es hatte einen Kampf gegeben. Da waren sogar Blutspritzer auf dem Papier. Sein Magen krampfte sich zusammen.
    »Mr Dobbins, ich weiß jetzt, wer meine Tante umgebracht und Hattie entführt hat. Es war Dale, einer dieser versoffenen Veteranen, die sich in der Stadt herumtreiben!«, rief er laut.
    Wieder keine Antwort. Nur Stille. Tom hatte wenig Hoffnung, dass Dobbins auf diese Finte hereinfiel, falls er irgendwo in einem Versteck lauerte, aber den Versuch war es wert. Er zückte die Waffe wieder und stieg die Stufen nach oben. Das Holz knarrte unter seinem Gewicht.
    Bitte, mach, dass sie da ist! Bitte, mach, dass sie gefesselt irgendwo liegt und Dobbins weg ist!
    Durch das kleine Fenster im Giebel fiel nur wenig Licht in den oberen Stock. Es lag über dem Schuppen, in dem Hattie angeblich ab und zu geschlafen hatte. Ein kurzer Gang, zwei Türen, mehr war dort oben nicht. Tom stieß die erste Tür auf, schwenkte den Lauf des Colts in die Ecken. Eine Art Speicher. Kisten, Koffer, ein Schrank unter der Dachschräge. Sonst nichts. Er öffnete den Schrank. Tischtücher, Bettwäsche, Wintermantel. Er drehte um, öffnete die zweite Tür. Ein leeres Bett, ein Nachttisch. Eine Truhe.
    Nichts. Niemand.
    Wo bist du, Becky? Was hat er mit dir gemacht?
    Tom stürmte wieder nach unten. Schwanzwedelnd spielte Hollis mit dem Papier auf dem Boden. Toms Atem ging stoßweise. Der ganze Raum drehte sich um ihn und verschwamm.
    Wo ist sie? Denk nach? Denk nach!
    Dobbins hatte Becky überwältigt, wie es aussah. Vermutlich hatte Becky ihm erzählt, dass Tom bei Crittenden und damit bei Adah Temple war. Vielleicht hatte sie ihm auch die Sache mit den Wagenspuren erzählt. Dobbins ging bestimmt kein Risiko ein und hatte die unliebsame Zeugin überwältigt. Aber wollte er Becky auch umbringen? War er auf der Flucht? Dann hätte er Becky vermutlich an Ort und Stelle ermordet und sie liegen lassen. Aber sie war nicht hier.
    Tom beschloss das als Zeichen zu nehmen, dass sie noch lebte. Aber wo war sie? Wo zum Teufel war Dobbins?
    Das Spukhaus im Wald hätte nicht als Versteck getaugt. Nein, Dobbins hatte Debbie Chisholm, Hattie und die anderen Frauen sicherlich nicht im Spukhaus versteckt. Dafür war das Gebäude nicht geheim genug, und es hatte auch nicht so ausgesehen, als wäre jemand dort gefangen gehalten worden. Das Spukhaus hatte er benutzt, um die Hunde anzulocken. Mit dem Urin einer läufigen Hündin, warum auch immer.
    Die Hundeplage, die so plötzlich aufhörte, wie sie gekommen war, kam Tom in den Sinn. Was tat Dobbins? Was hatte er vor? Und was sollte er selbst jetzt tun? Zurück zum Spukhaus? Dobbins würde nicht dorthin gehen, wo er bald wieder mit ihm rechnen musste. Zum Anleger? Würde Dobbins mit dem Dampfschiff fliehen wollen? Wie sollte er Becky unbemerkt an Bord bringen?
    Wo ist sie? Ich werde sie niemals wiedersehen.
    Toms Beine gaben plötzlich nach, und er sank auf die Knie. Einen Moment lang wurde ihm schwarz vor Augen.
    Nicht jetzt! Du kannst jetzt nicht schlafen! Du darfst nicht aufgeben! Du musst sie finden!
    Hollis winselte, unterbrach sein Spiel mit dem Papier am Boden, kam zu Tom gelaufen und leckte ihm das Gesicht. Kraftlos schob Tom ihn weg. Plötzlich knallten wieder Schüsse in der Ferne. Tom schrak auf. War das beim Friedhof gewesen? Ließ Crittenden seine Männer in die Menge feuern? Oder feuerte die Menge auf Crittenden? Warum konnte er nicht einfach die Augen schließen? Jetzt? Hier?
    Tom schlug sich auf die Wangen, um wach zu bleiben. Es half.
    Denk nach! Denk nach!
    Er schüttelte sich. Sein Blick wurde wieder klar und fiel auf die Stelle, wo der Hund eben noch rumgetollt hatte. Er schüttelte sich wieder.
    Da war Beckys Anhänger.
    Der Messingknopf von dem Feuerbock, den Tom ihr als Junge einmal geschenkt hatte. Auf allen vieren kroch er hin und streckte die Hand nach dem Messinganhänger aus, der zwischen zwei Dielenbrettern steckte. Wahrscheinlich war die Kette beim Kampf gerissen. Toms Mund war staubtrocken. Er schluckte, griff nach dem Messingknopf und

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