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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
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anstellen.«
    Crittenden blickte Tom erstaunt an, griff dann nach den Handschuhen und löste sie voneinander. Zwei Handschuhe. Cremefarben. Wildleder. Mit bräunlichem getrockneten Blut daran. Crittenden schüttelte den Kopf, und Ärger schwang in seiner Stimme. »Was hat das zu bedeuten, Sawyer?«
    »Diese Handschuhe habe ich John Wilkes Booth abgenommen, kurz bevor ihn die Kugel von Sergeant Boston Corbett traf. Manchmal verstecken Verbrecher Nadeln oder Draht in den Handschuhen, mit denen sie jemanden angreifen oder damit sie ihre Handschellen damit lösen können. Ich wollte kein Risiko eingehen. Außerdem dachte ich, dass die Handschuhe … Na ja, das Blut daran könnte von Lincoln stammen. Ich wollte nicht, dass sie in einer Scheune in Virginia verbrennen.«
    Crittenden blickte überrascht auf die Handschuhe. Er nickte. »Das ist ja … wirklich interessant, Mr Sawyer. Doch, doch. Ganz erstaunlich. Ein morbides, aber eines Tages vielleicht sogar historisch bedeutsames Andenken. Aber … was hat das mit Stanton zu tun?«
    »Als Booth starb, was hat er da gemacht, Sir?«
    Crittenden schob die Unterlippe vor: »Er hat die Hände vors Gesicht gehalten, auf die Handflächen geblickt und gesagt: ›Unnütz, unnütz‹ …« Crittenden verstummte. Dann riss er die Augen auf, und sein Blick ging in raschem Wechsel von Tom zu den Handschuhen und wieder zu Tom. »Sie meinen … diese Handschuhe?«
    »Drehen Sie sie auf links. Na los. Stülpen Sie sie um!«
    Crittenden tat, wie ihm geheißen. Hastig stülpte er die Handschuhe um und untersuchte die Innenseite. Er brauchte nur einen kurzen Moment, um die Buchstaben zu entdecken, die mit einer Nadel oder mit einem anderen spitzen Gegenstand in die Spitze des Mittelfingers geritzt worden waren:
    J. H. Bradley & Co.
    Nr. 1688  – 31 st Street
    Georgetown – 25 TSD USD
    Crittenden wurde bleich. Er ließ sich auf einen der zierlichen Stühle sinken, der unter seinem Gewicht ächzte. Dann blickte er zu Tom auf. »Sie verdammter Teufelskerl. Wissen Sie, was das ist?«
    Tom schüttelte den Kopf. »Ich hab keine Ahnung. Aber ich bete zu Gott, dass es Ihnen weiterhilft.«
    Crittenden lachte meckernd, dann sprang er auf, klopfte Tom auf die Schulter, zögerte, machte einen Schritt nach vorn und drückte Tom an seinen mächtigen Bauch, dass dem die Luft wegblieb. »Bradley und Co. ist eine Anwaltskanzlei in Georgetown, zu der Stanton enge Verbindungen hat. Er ist stiller Teilhaber, munkelt man in Washington, und er hat sich am Tag von Lincolns Ermordung mit Bradley getroffen! Das ist es, Sawyer! Das ist das fehlende Glied in der Kette! Das verbindet Stanton und Booth! Sie haben es gefunden, und ich weiß jetzt, wo ich suchen muss!« Crittendens Augen strahlten.
    Tom verzog keine Miene. »Was ist? Helfen Sie mir jetzt?«
    Der Major nickte. »Ich hole meine Männer, wir reiten zum Friedhof und retten Ihren Freund, bevor es zu spät ist.«
    Tom seufzte erleichtert. »Gut, aber beeilen Sie –«
    In diesem Moment klopfte es an die gläserne Flügeltür, und Mrs Temple öffnete sie und steckte vorsichtig den Kopf herein. Der Geruch von Steckrübensuppe drang aus dem Flur zu Tom.
    Mrs Temple räusperte sich. »Ich möchte Sie weiß Gott nicht stören, Major, aber ich habe gerade etwas sehr Unangenehmes erfahren.« Sie schien gar nicht wahrzunehmen, dass der alte, gebeugte Indianer plötzlich kurze dunkle Haare hatte und ganz aufrecht ging.
    Crittenden nickte. »Ja, bitte?«
    »Wenn Sie das Dampfschiff noch erreichen wollen, müssen Sie jetzt aufbrechen. Und zwar zu Fuß, fürchte ich. Der Sheriff sollte schon längst wieder da sein mit meinem Wagen, aber er ist noch nicht zurück, wie Mildred mir eben sagte. Ich bin untröstlich.« Nun sah sie auch Tom an und blinzelte verwirrt. »A-aber … was … wie sind Sie …?«
    Crittenden ging auf sie zu. »Danke, Mrs Temple, aber meine Pläne haben sich geändert. Wenn Sie gestatten, ich bin sehr in Eile.« Der massige Mann schob sich an ihr vorbei durch die Tür und hastete die Treppe hinauf, die hinter der Glastür in elegantem Schwung zwei Stockwerke nach oben führte.
    Adah Temple blickte ihm entgeistert nach, dann wandte sie sich um und blickte Tom fragend an. »Mr Sawyer? Tom? Sind Sie das?« Dann schien ihr plötzlich etwas klar zu werden, und sie beschirmte die Augen mit der Hand und senkte den Blick zu Boden. »I-ich meine … ich habe Sie nicht gesehen … also … wer immer Sie auch sein mögen, ich weiß es nicht. Ich

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