Der Mann, der sein Leben vergaß
Sekretärs.«
Dr. Albez schien einen Augenblick zu schwanken. Dann sah er die Argumente des Konsuls als berechtigt an und willigte ein.
»Und wann endet mein Stubenarrest?« fragte er scherzend.
»Sobald Professor Destilliano Sie identifiziert hat. Ich habe mit ihm telefonisch ausgemacht, daß er dann für Sie bürgt und Sie gleich mit zurück nach Lissabon nimmt.«
»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll«, sagte Dr. Albez gerührt. Er stand auf und drückte dem verdutzten Manolda die Hand. »Ich werde in Lissabons Presse sehr lobend über Sie berichten.«
Der Konsul erbleichte leicht und erwiderte schlaff den Händedruck. Du abgefeimter Schurke, dachte er, du Satan, du Kanaille! Ich hätte große Lust, dir auf deinem Zimmer die Kehle zuzudrücken und dich dann in einer der Grachten verschwinden zu lassen. Nach außen aber lächelte er wieder und war der rührendste Gastgeber.
»Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?« fragte er freundlich.
»Ein paar Bücher«, bat Dr. Albez. »Ich möchte Ihnen nicht lästig fallen und auf meinem Zimmer bleiben. Gegen die Langeweile und das Warten sind Bücher die beste Medizin.«
Manolda nickte. »Ich habe einige vorzügliche Werke im Haus. Welche Richtung bevorzugen Sie? Kriminalistik? Jura?«
Dr. Albez winkte erschreckt ab.
»Bloß nichts Schweres! Einen guten Familienroman, vielleicht auch eine schmissige Unterhaltung. Am liebsten etwas aus dem Leben eines Arztes, das lese ich besonders gern.«
Manolda dachte an Prof. Destilliano und biß sich auf die Lippen. Du Aas, dachte er. Deine spitzen Giftpfeile zahle ich dir noch heim!
»Ich lasse Ihnen eine Auswahl gleich hinaufreichen«, antwortete er voller Liebenswürdigkeit und begleitete Dr. Albez bis zur Zimmertür. »Der Raum ist zwar klein, aber ich glaube, er ist gemütlich.«
»O ja«, erwiderte Dr. Albez und trat in sein Zimmer. »Und lassen Sie sich, bester Konsul, durch meine Anwesenheit nicht abhalten.«
»Keinesfalls, nicht im geringsten«, versicherte der Konsul und schloß die Tür.
Nach einiger Zeit, in der Dr. Albez in einer älteren portugiesischen Zeitung las, war es ihm, als habe sich draußen in der Tür ein Schlüssel zweimal gedreht. Er machte sich aber nicht die Mühe, nachzusehen, ob er eingeschlossen war.
Was bedeutete das schon alles.
Er wollte sein Recht.
Er wollte zurück nach Portugal! Nach Lissabon! Zur Rua do Monte do Castello 12.
Angezogen legte er sich aufs Bett und setzte die Lektüre der Zeitung fort.
Nach ungefähr einer Stunde hörte er, wie unten im Hof ein Auto angelassen wurde.
Konsul Don Manolda fuhr zum Amsterdamer Flugplatz.
Prof. Destilliano war soeben gelandet.
Der Professor, ein 60jähriger, mittelgroßer, gepflegter Mann mit einem leicht zerknitterten Gelehrtengesicht, verzichtete zunächst darauf, den geheimnisvollen Dr. Albez persönlich zu sehen, sondern ließ sich von Konsul Don Manolda den Fall in allen Einzelheiten berichten.
Er saß in einem hohen Lehnsessel in der Bibliothek der Villa und blickte bei der Erzählung seines Freundes unverwandt auf seine schmalen, weißen Arzthände. Ohne zu unterbrechen nahm er den Bericht entgegen und blickte dann mit einem leichten Kopfschütteln auf.
»Die Sache ist mehr als rätselhaft«, sagte er mit einer tiefen Stimme, die kraß von den weißen Haaren abstach und gar nicht zu seiner ganzen Erscheinung paßte. »Sie ist geradezu mystisch! Ich habe seinerzeit Doktor Fernando Albez behandelt.«
»Was?!« Manolda starrte Destilliano an.
»Ja. Akute Angina pectoris. Organische Verengung der Herzkranzarterien. Ich gab ihm nur noch 2 Jahre, und wie du weißt, starb er auch nach 1 ½ Jahren im Jahre 1921 an Herzschlag auf einer Wiese bei einem Ausflug. Ich habe selbst die Todesursache festgestellt, den Totenschein ausgeschrieben und war bei seinem Begräbnis dabei.«
»Also ein ganz plumper Schwindel, was dieser Kerl da oben mit uns treibt!« rief der Konsul erregt. »Paß auf, es läuft auf eine Erpressung hinaus!«
Prof. Destilliano wiegte den Kopf und schien nicht ganz von der Ansicht seines Freundes überzeugt.
»Eine Erpressung ist nur möglich, wenn er etwas weiß. Ist das der Fall, so braucht er nicht in den toten Albez zu kriechen, das kann er dann auch als Pieter van Brouken machen. Ich sehe in dem allen keine Logik.«
»Er kennt die Rua do Monte do Castello 12!« entgegnete Manolda etwas unsicher.
»Muß er ja«, nickte Destilliano. »In dem Hause wohnte Doktor Albez bis zu seinem Tode. Damit ist
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