Der Mann, der sein Leben vergaß
Hausgeist hat gut vorgesorgt! Nur das Lager hätte er ein wenig fegen sollen.«
»Das ist reiner Konservatismus«, lachte Destilliano. »Verstaubte Läger machen den Eindruck mangelhaften Geschäftsverkehrs. Und das ist es, was ich bei einer plötzlichen und immerhin einmal möglichen Kontrolle erwecken möchte.«
Gewandt entkorkte er mit einem Taschenkorkenzieher die Flasche und schüttete den schweren, aber prickelnden Wein in die von Dr. Albez herbeigebrachten Gläser. Schnuppernd führte Destilliano das Glas an seine Nase und roch wohlig den Duft des Weines.
»Ein Tropfen, den kein Gold aufwiegt«, rief er übermütig. »Prost, lieber Doktor Albez!« Und als sie angestoßen und getrunken hatten, meinte Destilliano verschmitzt: »Ihre Karriere ist eigentlich ein Märchen. Sie verschwinden als Doktor Albez, bleiben zwei Jahre verschollen, gelten als tot, leben unter Hypnose als Pieter van Brouken, kommen wieder als José Biancodero, werden der Geliebte meiner Nichte, Teilhaber eines illegalen Medikamentengeschäftes …«
»Wieso Teilhaber?« Dr. Albez zuckte empor. Er war sprachlos.
»Ach so, das habe ich Ihnen noch gar nicht gesagt? Kinder, ihr sollt glücklich sein, Anita und Sie! Und meine Mitgift, die ich Anita gebe, ist eine Teilhaberschaft für Sie von zehn Prozent des Netto-Gewinns! Es liegt jetzt um so mehr an Ihnen, ob Sie Millionen verdienen oder ein kleiner biederer Bürger mit einem Girokonto auf der Stadtsparkasse werden.«
Dr. Albez brauchte eine Weile, um diese neueste Überraschung zu schlucken. Dann aber sprang er auf, drückte dem lächelnden Professor die Hand und wollte etwas sagen. Aber die glückliche Erregung versagte ihm die Stimme, und so drückte er mit leuchtenden Augen nur immer wieder die Hände Destillianos.
Mit leiser Gewalt befreite sich der Professor dann von ihm und drückte ihn lächelnd in den nahe hinter ihm stehenden Sessel.
»Mein Junge, Sie haben Kraft in den Fingern! Ich brauche meine Hände doch noch für meine Patienten! Trinken Sie noch einmal auf unser aller Wohl!«
Es wurde Abend, ehe sie schwer schwankend aufstanden. Sechs leere Flaschen standen neben den Korbsesseln auf dem Bastteppich, und eine halb angetrunkene Flasche Kognak funkelte auf dem Tisch im feurigen Abendrot.
Hin und her pendelnd, mit wirren heißen Haaren und rotem, verschwitztem Gesicht half Destilliano Dr. Albez auf die Beine und boxte ihm in den Rücken.
»Haltung, Fernando!« rief er und schwankte dabei selbst besorgniserregend. »Haltung ist alles, Fernando!«
»Ich bin so müde, so müde, Ricardo«, lallte Dr. Albez mit geschlossenen Augen und klammerte sich mit beiden Armen an den Professor. »Ein Bett, ein Königreich für ein Bett!«
»Du Verschwender!« Destilliano wackelte und schleifte den fast besinnungslosen Dr. Albez zu einer Tür, die in einen Nebenraum führte. Mit unsicheren Händen klinkte er sie auf und schwankte dann auf der Schwelle gefährlich nach vorn über. »Du mußt mehr saufen!« brüllte er. »Verstehst du, Fernando – Saufen ist eines der Hauptbestandteile von großen, geschäftlichen Verhandlungen und Erfolgen! Sieger ist immer der, der alle Betrunkenen stehend überlebt! Saufen mußt du lernen, einen zünftigen, akademischen Suff …«
Dr. Albez antwortete nicht. Röchelnd schlief er bereits an Destillianos Schulter. Mit letzter Kraft schleifte ihn der Professor in den Raum, in dem einige Feldbetten an den Wänden standen. Er ließ den Schlafenden auf die Leinengurte fallen und rollte selbst auf eines der Betten.
Vierzehn Tage später stach Dr. Albez von Las Palmas aus mit einer bis unter die Ladeluken gefüllten Jacht Destillianos in Richtung Amsterdam in See.
Es war ein herrlicher, sonniger Tag.
Er dachte, ein gutes Werk zu tun, Millionen zu helfen durch die Bekämpfung des Tbc-Bazillus.
Aber er brachte millionenfaches Leid.
Er schmuggelte Kokain und Opium …
4
Chefkommissar Antonio de Selvano saß mißgestimmt in seinem Sessel und starrte auf ein umfangreiches rotes Aktenbündel. Im Vorzimmer unterhielten sich flüsternd die Sekretärinnen und wehrten alle Besucher, die den Kommissar sprechen wollten, mit erschreckten Mienen ab.
Es war dicke, äußerst dicke Luft in der Zentralabteilung zur Bekämpfung des Rauschgiftschmuggels von Lissabon. Antonio de Selvano, einer der fähigsten und gewandtesten Köpfe der portugiesischen Kriminalpolizei, tappte seit einem Jahr, seit er das Rauschgiftdezernat übernommen hatte, nicht nur völlig im dunkeln,
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