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Der Mann, der sein Leben vergaß

Der Mann, der sein Leben vergaß

Titel: Der Mann, der sein Leben vergaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Händen bedeckte er das verzerrte Gesicht.
    Eine unheimliche Stille lag in dem Zimmer. An die Lehne des Sofas gepreßt, starrte Anita zu ihrem Onkel herüber.
    Nach langem Schweigen ließ Destilliano die Hände sinken. Das faltige Gesicht eines müden, zerbrochenen Mannes kam zum Vorschein. Stockend quälte er die Worte hervor.
    »Seit wann nimmst du Kokain …«
    »Seit einem Jahr …«
    »Täglich?«
    »Ja, täglich.«
    »Wo hast du das Gift her?« röchelte Destilliano.
    Anita blickte zu Boden. Ein heftiges Zittern durchfuhr ihren sichtlich abgemagerten Körper.
    »Ich fand im Hause Fernandos, nebenan, eine kleine Kiste mit diesen Schachteln, ich nahm sie mit, machte sie hier auf und sah, daß es Kokain war. Zuerst fürchtete ich mich – ich habe so viel Schreckliches von Kokain gelesen und gehört –, doch dann, als Fernando zum erstenmal fortfuhr, da hatte ich so schreckliche Angst um ihn. Da machte ich ein Paket auf.«
    »Und du nahmst ein Pulver?« stammelte Destilliano.
    »Ja. Und ich schlief herrlich und wurde so ruhig danach. Wie ein Wunder war es, das in den Körper dringt. Jeden Abend sehnte ich mich nach diesen Träumen, dürstete nach der Nacht, zitterte, bis ich das Pulver nahm. Und dann war alles so leicht und herrlich, so voll Glück wie im Märchen.«
    »Es ist der Tod!« schrie Destilliano. Eine irrsinnige Angst stieg in ihm empor. Er stürzte auf Anita zu und schüttelte sie. »Der Tod! Der Tod! Der Tod!« brüllte er dabei, und ihre schwarzen Locken, die vor seinen starren Augen flatterten, machten ihn vollends irr. »Wer das Gift nimmt, ist verloren!« schrie er gellend. »Du darfst es nicht mehr nehmen, hörst du – du darfst nicht!!«
    Anita hatte die Augen geschlossen. Willenlos ließ sie sich schütteln.
    »Ich kann nicht mehr«, stammelte sie. »Ich muß.«
    »Nein!« Destilliano taumelte zurück. »Du bist dem Gift noch nicht verfallen!« Eine kindische Furcht warf ihn in die Knie. Zitternd umschlang er Anitas Beine und winselte ihr zu Füßen. »Anita, sag doch … du bist ihm nicht verfallen … du kannst es vergessen … du bist ihm nicht verfallen …«
    Anita streichelte die weißen, schweißverklebten Haare ihres Onkels. Der zitternde, winselnde Greis tat ihr unendlich leid. Doch sie konnte nicht anders – eine fremde, gewaltige Macht hatte ihren Willen in Besitz genommen.
    »Doch«, sagte sie leise in das Schweigen. »Ich brauche das Gift zum Leben …«
    Stöhnend richtete sich Destilliano auf. Dann aber stürzte er mit einem Satz auf den grauen Kasten, warf ihn zu Boden und zertrat ihn, stampfte das Pulver in den Teppich, trat und hieb mit den Füßen darauf, wild, wie ein Amokläufer, und rannte dann aus dem Zimmer, als hetze ihn eine Meute blutdürstiger Hunde.
    In seiner Bibliothek sank er vor einem alten, geschnitzten, in einer dunklen Ecke hängenden Kruzifix nieder und hieb mit dem Kopf auf den Boden.
    »Vergib mir!« schrie er mit heiserer Stimme. »Herr … vergib mir … vergib mir … Strafe mich nicht so … Fluche nicht der Unschuld … fluche mir … o Herr, Herr … vergib mir …!«
    Sein Schreien ging in ein Wimmern über, bis es vor Erschöpfung erstarb.
    Ohnmächtig lag Professor Destilliano vor dem dunklen Kruzifix.
    Es war dieselbe Zeit, in der unten im Hafen die Jacht Anita, von Amsterdam kommend, einlief und Dr. Albez verwundert auf die leere Kaimauer schaute, auf der nur ein Mann stand.
    Die ›Spürnase‹ Primo Calbez.
    Antonio de Selvano saß über zwei Fotografien gebeugt und schüttelte zum wiederholten Male heftig den Kopf. Es sah aus, als käme er gerade aus dem Wasser und schüttelte nun die Tropfen ab. Und wirklich versuchte der Chefkommissar auch etwas abzuschütteln: die Verwunderung nämlich, die ihm das klare Denken hemmte.
    Vor ihm lag ein Bild Dr. Fernando Albez' mit Anita Almiranda, aufgenommen von Primo Calbez auf dem Terreiro do Paco am Tejo, und darunter lag das ein Jahr alte Plakat der Amsterdamer Polizei, welche einen plötzlich verschwundenen Sparkassenkassierer Pieter van Brouken suchte.
    Selvano war ganz plötzlich auf diese Gegenüberstellung gestoßen. Als ihm die ›Spürnase‹ die gutgelungene Straßenfotografie übergab, fiel ihm das Gesicht dieses José Biancodero gleich merkwürdig bekannt auf. Er schien es schon einmal gesehen zu haben, und zwar vor nicht langer Zeit. Sinnend war er mit der Fotografie zum Kriminal-Bildarchiv gefahren und stieß direkt im Vorraum in der langen Reihe der neusten Steckbriefe auf das Bild

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