Der Mann, der sein Leben vergaß
verschaffte dem alten Halunken einen blendenden Abgang. Denn nach Destillianos und des Kokainschmuggels Scheiden reichte Condes de Manolda seine Demission als portugiesischer Konsul ein, wurde Privatier, zog von Amsterdam weg nach Den Haag, kaufte sich ein Landhaus und hielt als stiller Edelmann den Gedanken an seinen edlen Freund Destilliano in seinem Herzen wach.
Allein zurück mit allen Besitzungen in Portugal und auf den Kanarischen Inseln blieb Dr. Fernando Albez, der als José Biancodero der reichste Mann von Lissabon wurde.
Zurückgezogen in einem Landhaus an der Felsenküste von Cintra, in der Nähe von Azenhas do Mar, lebte er weltfern, einsam, stumm und ernst. Oft stand er stundenlang auf dem steil ins rauschende Meer abfallenden Felsen, ließ den Wind durch seine Haare wehen und starrte hinaus in die unendliche Weite des brausenden Atlantik.
Das Glück seines Lebens war mit Anita gestorben.
5
Fünf Jahre gingen ins Land.
Eines Nachmittags, am 7. August 1929, hielt unten auf der Uferstraße am Felsen ein großer, schwarzer Tourenwagen, und ein gepflegter, breiter Herr in dunkelgrauem Reiseanzug und Sportmütze stieg aus. Musternd schaute er den Felsen hinauf, gab in das Innere des Wagens einige Anweisungen und machte sich dann brummend daran, den steilen Felsenweg emporzuklettern.
Der Wagen fuhr an die Seite und hielt dann wartend in einer halbkreisförmigen Einbuchtung der steilen Steinwand.
Mit hochrotem Gesicht, ein wenig außer Atem und schwitzend, trat der Besucher nach einer Weile auf das Steingartenplateau. Musternd blickte er auf das weitläufige, flache Landhaus. Er wollte gerade den Kiesweg entlang zur Tür des Baues gehen, als er aus einem der Büsche zu seiner Seite angesprochen wurde.
»Ist es möglich? Sie, in Cintra?!«
Erschreckt fuhr der Fremde herum, doch dann zog ein breites Lächeln über sein wohlgenährtes Gesicht.
»Doktor Fernando Albez! Sie haben eine verteufelte Art, Ihre Gäste zu begrüßen!« Lachend gab er ihm die Hand. »Nach fünf Jahren Einsamkeit wollte ich Sie einmal in Ihrer Eremitenhöhle besuchen! Wie's scheint, läßt es sich in dieser Höhle ganz gut wohnen!« Er lachte und klopfte Albez auf die Schulter. »Auch Eremitentum kann etwas Reizvolles sein!«
»Wie kommen Sie nach Cintra, Konsul Manolda?« fragte Albez lächelnd und geleitete den Gast über den Kiesweg dem Hause zu. »Sie waren nach dem – Unglück wie verschollen!«
»Man wird alt, mein Bester. Die Geschäfte reiben die Nerven auf, die Tätigkeit als Konsul mit ihrer ständigen Repräsentation engt das private Leben ein – da habe ich mir kurz entschlossen in Den Haag eine kleine Villa gekauft und bin ein lebenslustiger Privatier geworden.« Er gluckste. »Das Los der alten Männer, Doktor Albez. Ich beneide Sie um Ihre 42 Jahre und Ihre jugendliche Spannkraft. Wenn man erst 60 ist, wird das Blut ruhig und dickflüssig … und wenn man wie ich erst 64 ist, o je –, dann ist der größte Wunsch Ruhe und Sorglosigkeit!«
»Und trotzdem machten Sie die beschwerliche Reise nach Azenhas do Mar?«
»Rein aus Vergnügen, Doktor Albez. Ich besuchte in Lissabon den letzten übriggebliebenen Jugendfreund und dachte mir: Mußt doch einmal sehen, wie es dem netten Fernando Albez geht. Das heißt: ich fragte nach José Biancodero. Verschwunden, hieß es. Das Haus in der Rua do Monte do Castello ist mittlerweile umgebaut und ein Säuglingsheim geworden, und der geheimnisvolle José Biancodero soll in Cintra, oben auf einem Felsen direkt am Meer, einsam und menschenscheu schon seit Jahren leben. Verrückt, sagte ich – den Knaben suchst du auf! Und so bin ich losgefahren und habe Sie in Ihrer Eremitenklause aufgestöbert.«
Dr. Albez lächelte und blieb vor den Stufen des Hauseinganges stehen.
»Selbstverständlich sind und bleiben Sie auch mein Gast«, sagte er.
»Ich wollte nur auf ein Stündchen …«
Manolda hob den Arm, aber Albez winkte ab.
»Für eine Stunde brauchten Sie gar nicht zu kommen! Sie sind jetzt hier, und ich lasse Sie erst wieder weg, wenn ich es will!« Er lächelte. »Wissen Sie nicht, daß mein Zaubergarten durch einen Hexenspruch verschließbar ist und niemand mehr ohne meinen Willen von den Felsen herunterkommt?! Sie sind mein lieber und willkommener Gefangener!«
Mit gespieltem Erstaunen nahm Manolda seinen Hut ab. Resignierend zuckte er die Achseln.
»In die Falle gegangen! Das hat man von seiner Menschenfreundlichkeit! Aber das eine sage ich Ihnen, Doktor Albez: Wenn
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