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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John O'Farrell
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schlecht nicht sein.«
    »Aha«, sagte Gary. »Klingt vernünftig. Das werde ich mir merken, falls ich mir noch mal eine Infektion einfange, die sich auf ›Flipper‹ reimt.« Linda kicherte und knuffte ihn schon wieder.
    Linda passte für meinen Geschmack irgendwie nicht recht zu Gary. Hätte er mir am Tag zuvor verraten, dass er verheiratet war, hätte ich wahrscheinlich eine Punktussi mit Igelfrisur und Piercings an den unmöglichsten Stellen erwartet oder aber eine alte Hippiebraut mit hennarotem Haar im lila Wallewallekleid. Linda war nicht nur konventionell, sondern noch dazu erstaunlich jung und schick und strotzte förmlich vor Energie und Selbstvertrauen, was vermutlich daran lag, dass sie sich von Kindesbeinen an gesund ernährt hatte und jedes Jahr Skiurlaub machte.
    »Seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, ist übrigens etwas Wichtiges passiert«, sagte Linda, als wir auf den Fahrstuhl warteten, und bedachte ihren Mann mit einem vielsagenden Lächeln. Dem behagte es offensichtlich gar nicht, dass sie die Katze so mir nichts, dir nichts aus dem Sack ließ. »Du weißt ja, dass wir uns seit Langem ein Baby wünschen …«
    »Nein.«
    »Ach. Nein, woher auch? Also, das Schöne ist … es hat geklappt! Bald sind wir eine richtige Familie!«
    Sie sagte das, als müsse ich vor Begeisterung in lauten Jubel ausbrechen, und wirkte ein klein wenig geknickt, als ich ihr lediglich höflich gratulierte. Im Fahrstuhl dann gab sie Anekdoten aus meinem früheren Leben zum Besten, wie um zu beweisen, dass wir uns tatsächlich sehr gut kannten. Offenbar war ich bei ihrer erst wenige Monate zurückliegenden Hochzeit Garys Trauzeuge gewesen; ich hatte jahrelang jeden Dienstagabend mit Gary Fußball gespielt; ich war sogar mit ihnen in Urlaub gefahren, und Gary erzählte die denkwürdige Geschichte, wie ich einmal aus einem Fischerboot gefallen war, als er einen riesigen Tunfisch an Bord gezogen hatte.
    »Ehrlich gesagt, hat nicht Gary ihn an Bord gezogen, sondern der Besitzer des Bootes, das wir gemietet hatten, trotzdem war es urkomisch«, setzte Linda hinzu.
    »Nein, ich habe den Fisch gefangen«, widersprach Gary leicht gereizt.
    »Ja, du hast ihn geangelt, aber der Mann hat ihn aus dem Wasser gezogen, und als der riesige Fisch an Deck herumzappelte, bist du vor Schreck ins Wasser gefallen, Vaughan – es war wirklich zum Schießen!«
    »Nein, du verwechselt da was«, beharrte Gary. »Er hat der Amerikanerin geholfen, ich hingegen habe meinen Fisch selbst an Bord gezogen – stimmt’s oder hab ich recht, Vaughan? Ach, Mist, du kannst es ja nicht wissen.«
    »Was spielt es schon für eine Rolle, ob der Mann Gary ein klein wenig geholfen hat …«
    »Er hat mir aber nicht geholfen …«
    »Der springende Punkt ist doch, dass du ins Wasser gefallen bist und der Mann dich wieder herausziehen musste.«
    »Im Gegensatz zu dem Fisch, den ich selbst herausgezogen habe.«
    »Es tut mir leid, aber ich kann mich an nichts davon erinnern«, murmelte ich. »Wisst ihr was? Ich komme mir unglaublich unhöflich vor. Ich war Trauzeuge bei eurer Hochzeit, und jetzt weiß ich noch nicht mal mehr, was Gary und ich gemeinsam haben. Ich meine, worüber haben wir früher gesprochen? Ich habe nicht die leiseste Ahnung.«
    Darüber dachten sie einen Augenblick nach.
    »Ich kann mich nicht entsinnen, dass ihr euch je über irgendetwas unterhalten hättet«, sagte Linda. »Ihr habt lediglich die Apps auf euren iPhones verglichen.«
    Neben mir auf der Rückbank von Garys und Lindas Familienkutsche war ein nagelneuer Kindersitz festgeschnallt, an dem noch das Preisschild klebte. »Wann ist es denn so weit?«
    »In ziemlich genau neun Monaten«, seufzte Gary.
    »Nein, nicht mehr ganz«, verbesserte ihn Linda. »Aber für Baby soll alles perfekt sein.«
    »Für das Baby«, korrigierte Gary.
    »Aber der Kindersitz war ein Sonderangebot, und es ist eins der sichersten Modelle für Baby.«
    » Das Baby …«
    Es war ein sonniger, windiger Tag, und wir fuhren vom Klinikparkplatz. Die Blätter an den Bäumen machten nicht den Eindruck, als ob sie noch lange dort hängen bleiben wollten. Ich hatte angenommen, wir würden auf direktem Weg zu Gary und Linda fahren, aber die beiden hatten offensichtlich andere Pläne.
    »Okay, ihr Lieben, welkom an Bord bei Garys und Lindas berühmte Magicking Mystery Tour!«, versuchte mein Chauffeur sich an der Imitation eines deutschen Reiseleiters beziehungsweise holländischen MTV -Moderators: Der Akzent changierte

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