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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John O'Farrell
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… was macht ihr eigentlich so?«
    »Hä?«
    »Na, womit verdient ihr euer Geld?«
    »Was soll das werden? Heiteres Beruferaten oder was?«
    »Ich weiß nicht – ich fand es einfach unhöflich, die ganze Zeit nur von mir zu sprechen. Ich wollte nicht wie ein Egomane erscheinen. Erster Eindruck et cetera pp.«
    »Zweiter«, sagte Linda.
    »Stimmt, zweiter Eindruck. Für euch jedenfalls.«
    »Tausendzweiter«, sagte Gary.
    »Okay. Also, ich – das ist irgendwie abartig –, ich bin in der Personalbeschaffung tätig«, sagte Linda, »und Gary macht in Computern – Internet und so.«
    »Aha.« Ich nickte gleichgültig. »Dein Spezialgebiet ist nicht zufällig Datenwiederherstellung?«
    »Ha! Nein, aber ich kenne ein paar Experten auf diesem Gebiet. Und ich weiß genau, was die dir sagen würden: Du hättest ein Backup deines Gehirns auf einem USB -Stick speichern sollen. Nein, ich bin selbstständig, ich entwerfe Websites und entwickle neue Ideen für das Netz und so.«
    »Wow! Was denn für Ideen?«
    »Na gut, dann erzähle ich dir jetzt von unserem großen Projekt.«
    » Unser großes Projekt?«
    »Ja, wir haben die Idee zusammen entwickelt. Und eine Website gegründet, die die Art und Weise, wie wir Nachrichten konsumieren, von Grund auf revolutionieren wird.«
    »Inwiefern?«
    »Das ist die Zukunft der Newsbranche.« Ich bemerkte ein manisches Flackern in Garys Augen. »Momentan funktioniert das Nachrichtenwesen nach dem Top-Down-Prinzip. Irgendein faschistischer Großkonzern entscheidet, welche Geschichte die wichtigste ist, und lässt sie von irgendeinem Lakaien schreiben, der dem gutgläubigen Leser dann die üblichen Murdoch-Lügen auftischt.«
    Linda nickte bekräftigend.
    »Mit Hilfe des Internets können wir dieses Modell quasi auf den Kopf stellen. Überleg doch mal, Millionen von Lesern auf der ganzen Welt schreiben über das, was sie erlebt oder beobachtet haben, und laden ihre eigenen Fotos, Videos und Texte hoch. Millionen anderer Leser suchen und klicken auf Storys, die sie interessieren, und zack! avanciert die Geschichte mit den meisten Hits zur wichtigsten Meldung auf der mit Abstand demokratischsten und neutralsten Nachrichtenplattform dieses Planeten!«
    »Es ist zum Schießen«, setzte Linda hinzu. »Gestern war der Aufmacher eine Story über eine Transsexuelle, die es mit zwei Liliputanern treibt, hahaha …«
    »Na ja, was die Filter angeht, besteht noch Verbesserungsbedarf. Trotzdem, YouNews ist die Zukunft, das hast du selbst gesagt. Die Suchkriterien sind praktisch unbegrenzt: Region, Thema, Protestbewegung, was du willst.«
    »Du musst dir das unbedingt mal ansehen«, sagte Linda. »Inzwischen weiß ich, wie man eine Story hochlädt. Gestern habe ich ein wunderschönes Video gepostet: ein wahnsinnig süßes Kätzchen, das von einer Kuckucksuhr erschreckt wird.«
    »Aber Linda, das ist doch keine Nachricht. So war das nicht gedacht!«
    »Also weder Reporter noch Redakteure?«, fragte ich.
    »Genau! Keine Lohnschreiber und Spesenritter, kein teures Studio-Equipment und auch keine Pressezaren, die ihren politischen Verbündeten oder Geldgebern nach dem Mund reden.«
    Nachdem ich einen Augenblick darüber nachgedacht hatte, wurde mir klar, was mir an der Idee nicht behagte.
    »Und woher weißt du, ob sie wahr ist?«
    »Was?«
    »Die Geschichte, die irgendein x-beliebiger User postet. Woher willst du wissen, dass er sie nicht einfach erfunden hat?«
    »Also, wenn er sie erfunden hat«, erklärte Gary, »werden andere User sie im Forum entsprechend kommentieren und sie als unglaubwürdig entlarven. Deine Worte. Außerdem kann sie natürlich jeder umschreiben und editieren – es ist wie Wikipedia, nur für Nachrichten. Glaub mir, du warst Feuer und Flamme. Du und ich – mit vereinten Kräften werden wir die Welt verändern!«
    Meine Bedenken gegen Garys Website speisten sich aus einer weitaus größeren Sorge, die mich plagte, seit mein Gehirn Strg+Alt+Entf gedrückt hatte. Wie sollte ich unterscheiden, was wahr war und was nicht? Ich kämpfte nach wie vor mit einer Stimme in meinem Kopf, die leise Zweifel hatte, ob ich tatsächlich »Vaughan« hieß, Lehrer war und noch dazu kurz vor der Scheidung stand.
    Schließlich hielten wir vor dem Haus, in dem ich bis zu meinem Gedächtnisverlust gewohnt hatte. Ich erfuhr, dass ich in der Zeit zwischen meinem Auszug daheim und meinem Einzug in den vierten Stock des King Edward’s Hospital bei diversen Freunden und Bekannten auf dem Sofa genächtigt

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