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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John O'Farrell
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und zuletzt in der Nähe meines alten Viertels das Haus einer reichen Familie gehütet hatte, die drei Monate in New York weilte.
    »Wow, was für ein tolles Haus! Und das hatte ich ganz für mich allein?«
    »Ja – aber es war irgendwie nicht dein Ding. Aus lauter Angst um die teuren Möbel und den ganzen Kram bist du in null Komma nichts zum Vollspießer mutiert. Ständig hieß es: ›Gary, hier drin wird kein Dope geraucht! Gary, lass die Finger von seinen Klamotten! Gary, piss nicht in den Kräutergarten!‹ Du warst ziemlich verspannt, wenn ich so sagen darf …«
    Bei meinem Verschwinden hatte ich meine Kleider und meine anderen Habseligkeiten zurückgelassen, die nun, in Kartons verpackt, bei Gary und Linda standen.
    »Es waren ein paar ziemlich harte Pornos unter deinen Sachen.«
    »Wirklich?«, fragte Linda empört.
    »Nein«, sagte ich lächelnd. Ich durchschaute Garys Frotzeleien schon jetzt besser als seine Frau.
    Inzwischen war die Familie aus New York zurück und angelte vermutlich immer noch die Zigarettenkippen aus ihrem Tropenfisch-Aquarium, dort konnte ich also nicht mehr unterkommen.
    »Erkennst du das Haus etwa auch nicht? Unfassbar. Gibt es eigentlich irgendetwas, woran du dich erinnerst?«
    »Also, es gibt da so eine Szene, die ich immer wieder vor mir sehe. Eine vage Erinnerung an ein Mädchen aus meiner Jugend, das sich förmlich ausschüttet vor Lachen. Wir sind vor dem Regen unter ein Vordach oder so etwas geflüchtet und werden trotzdem nass, aber das ist uns egal. Ich kann mich bloß nicht entsinnen, wer sie war oder wie sie aussah oder wo es passiert ist. Ich weiß nur noch, dass ich richtig, richtig glücklich war.«
    Gary und Linda sahen sich schweigend an. Wir bogen in eine Wohnstraße unweit von Clapham Common. Zwei Reihen mittelgroßer viktorianischer Häuser und dazwischen ein paar potthässliche Wohnblocks aus den Fünfzigerjahren, die trotz aller Bemühungen der Nachkriegsarchitekten nicht verhehlen konnten, welch schmerzliche Lücken die Bomben der deutschen Luftwaffe gerissen hatten. Nummer 27 war ein Eckhaus, mit Abstand das schönste in der Straße, mit malerischen Dachgauben und einem kleinen Türmchen mit Blick auf die Londoner Skyline.
    »Erkennst du das?«
    »Sag nichts – ist das mein Elternhaus? Nein, sonst würde dort eine Gedenktafel hängen.«
    »Versuch’s noch mal.«
    »Habe ich hier auch gewohnt?«
    »Äh, hm, ja, sozusagen …«
    In diesem Augenblick ging die Haustür auf, und eine bildschöne, rothaarige Frau trat in die Herbstsonne hinaus und warf einen Plastiksack in die Mülltonne.
    »Wow! Wer ist das?«, flüsterte ich. »Die sieht ja super aus!«
    Die Frau blieb stehen, zog ein paar vertrocknete Geranien aus dem Blumenkasten vor dem Fenster, strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr und richtete den Blick gen Himmel, als wollte sie nach dem Wetter sehen.
    »Hat sie zu meiner Zeit auch schon hier gewohnt? Sollen wir rübergehen und Guten Tag sagen?«
    »Himmel, Vaughan, du bist ja knallrot im Gesicht!«, sagte Linda. »Komm, Gary, fahren wir. Sonst sieht sie uns am Ende noch.«
    Schon legte er den Gang ein und fuhr los.
    »Moment mal, ihr schuldet mir eine Erklärung … Wo sind wir hier? Wer ist die schöne Frau?«
    »Das, Vaughan, war das Haus, in dem du zwanzig Jahre lang gewohnt hast«, sagte mein Reiseführer. »Und die schöne Frau war Madeleine. Von der du in Kürze geschieden wirst.«

5. KAPITEL
    Wenn man zur Tür hereinkam, fiel der Blick als Erstes auf das Treppengitter und den nagelneuen Kinderwagen, der zusammengeklappt neben der Garderobe stand. Sämtliche Steckdosen waren mit Kindersicherungen versehen, im Wohnzimmer lag ein Teppich mit dem Bild von Thomas, der kleinen Dampflokomotive, und an der Wand stapelten sich bunte Bauklötze.
    »Entschuldige, aber ich dachte, das wäre euer erstes Baby.«
    »Ist es ja auch. Bis jetzt sind wir nur zu zweit«, sagte Gary. »Aber Linda kauft eben gern Kindersachen.«
    »Ach, Vaughan, ich fand es immer so schön bei euch«, schwärmte Linda. »Überall Spielzeug. Trautes Heim, Glück allein. Und da habe ich zu Gary gesagt, genau so soll es auch bei uns sein.«
    »Ja. Die richtige Vorbereitung ist das A und O …«
    »Das hier ist nämlich kein Haus «, sagte sie voller Inbrunst, »sondern ein Heim .«
    »Es ist ja auch kein Haus «, setzte Gary hinzu, »sondern eine Wohnung. «
    Stolz zeigte Linda mir mein Zimmer. In der Ecke stand ein nagelneues Kinderbett, umgeben von blinkenden Musik-Mobiles. Der

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