Der Mann, der seine Frau vergaß
sanfte Schein einer Disney-Lampe erhellte die mit Comicbären bedruckte Tapete. Linda rückte liebevoll ein Kuscheltier zurecht, das sich auf eine lange Wartezeit eingestellt zu haben schien. Nur das ausgeklappte Schlafsofa störte die Kinderzimmeratmosphäre; am Fußende standen ein buntes Baby-Gym und eine Wickelkommode mit gepolsterter Auflage.
Hier also würde mein neues Leben beginnen – in einem Zimmer mit Nachtlicht und Babyfon, damit Linda mich hören konnte, falls ich nächtens in mein Kissen weinte. An der Decke hing ein Poster mit den Buchstaben des Alphabets, die sich bei näherem Hinsehen als verrenkte Tierfiguren entpuppten. Auf den Vorhängen prangten Kaninchen, die mit dem Fallschirm vom Mond absprangen. Wenn das Baby hier aufwachte, wähnte es sich wahrscheinlich auf einem schlechten LSD -Trip.
»Ist das nicht ein wunderschönes Zimmer?«, sagte Linda stolz. »Wenn Baby kommt, musst du natürlich ausziehen …«
» Das Baby«, rief Gary über den Flur.
In einem schmalen Kleiderschrank hingen gebrauchte Männersachen. Entweder waren sie für das Baby bestimmt, wenn es dereinst erwachsen war, oder es handelte sich um meine Jeans und Jacketts aus der Zeit vor meiner Amnesie. Offenbar hatte ich die salopp-elegante Kombination von Jeans, Hemden und Pullovern bevorzugt, genau wie Millionen anderer Modemuffel zwischen Seattle und Sidney. Die Anzüge waren vermutlich meine Arbeitskleidung, und die 08/15-Krawatten schienen gleichsam dazu verdammt, auf Halbmast getragen zu werden.
Linda hatte freundlicherweise alles für mich hergerichtet; sogar an eine frische Zahnbürste hatte sie gedacht.
»Das ist das Bad, Vaughan – ich dachte, du möchtest dich vielleicht in die Wanne legen. Wenn du duschen willst, musst du diesen Hebel ziehen …«
»Findest du nicht auch, dass sie traurig aussah?«
»Wer?«
»Maddy. Ich fand, sie sah ein wenig niedergeschlagen aus …«
»Äh, nein, für meinen Geschmack sah sie eigentlich genau so aus wie immer … Deine schmutzige Wäsche kannst du hier reinwerfen, und wie die Waschmaschine funktioniert, zeige ich dir dann.«
»Vielleicht war ihr aber auch nur kalt – der Wind war ziemlich frisch, nicht wahr?«
»Äh, ja, könnte sein.«
Die Vorstellung, nach einer Woche im Krankenhaus ein entspannendes Bad zu nehmen, war verlockend, und so trottete ich ein paar Minuten später in das Badezimmer wildfremder Menschen und zog mich aus. Ich kam mir vor wie ein Eindringling. Auf der Ablage über dem Waschbecken standen ihre Schminksachen, daneben sein Rasierzeug; ich war umgeben von anderer Leute Handtücher, Cremes und Lotions. Ich wollte ihnen noch so viele Fragen stellen; ich hatte den Eindruck, gerade einmal einen flüchtigen Blick auf mein wahres Ich erhascht zu haben, als der Badezimmerspiegel beschlug. Wann hatte meine Ehe mit Maddy den ersten Knacks bekommen? War ich ausgezogen? Hatte sie mich vor die Tür gesetzt? War einer von uns fremdgegangen?
Ich lag so lange in dem duftenden Schaumbad, dass ich heißes Wasser nachlaufen lassen musste. Ich tauchte meinen schmerzenden Schädel in das perlende Nass und machte mich blind und taub gegen die Außenwelt. Ich hörte nur noch meinen Herzschlag. Denn das ist letztlich alles, was wir haben: unseren Herzschlag und Augen, um zu sehen.
Ich tauchte langsam auf, holte tief Luft und starrte an die Decke. Ich konnte mich nicht entsinnen, mich jemals so entspannt gefühlt zu haben. Mein Kopf war vollkommen leer. Eine winzige Spinne verschwand in einem Spalt am Fenster. Und da passierte es. Wie aus dem Nichts, ohne dass ihr eine Assoziation oder ein logischer Gedankengang vorausgegangen wäre, kehrte meine erste Erinnerung zurück. Es war, als würde ich es leibhaftig, in Echtzeit miterleben, so real erschien es mir: die Emotionen, die Geräusche, selbst das Wetter – mit einem Schlag war alles wieder da.
Maddy und ich gehen Hand in Hand einen grasbewachsenen Hügel hinauf, hüpfen leichtfüßig über Kuhfladen und Kaninchenlöcher, bis wir auf dem Gipfel stehen und den Wind und die Sonne auf unseren Wangen spüren. Wieder tauschen wir einen flüchtigen Kuss.
»Und wie geht’s jetzt weiter?«, frage ich und sehe zum Meer hinunter.
»Keine Ahnung. Zusammenziehen, zehn Jahre trautes Eheglück, bis ich dahinterkomme, dass du eine Affäre mit deiner Schreibkraft hast.«
»Mit meiner Schreibkraft? Warum nicht mit meiner Sekretärin?«
»Das ist ja der Witz. Deine Schreibkraft ist ein Mann.«
»Ja, ich bin ein verkappter
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