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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John O'Farrell
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kommt.«
    Ein heftiger Windstoß lässt das Zelt erzittern, dann lösen sich die Leinen, das Gestänge kippt nach innen, und das Zeltdach fällt in sich zusammen. Vor Schreck fange ich lauthals an zu fluchen, und Maddy, die noch immer von den Nachwirkungen der Flasche Weißwein zehrt, die wir bei Sonnenuntergang getrunken haben, bricht in kreischendes Gelächter aus.
    Ich versuche zwar, das Gestänge von innen wieder aufzurichten, aber der Sturm plättet das Zelt ein zweites Mal, und das eindringende Wasser droht unsere Sachen fortzuschwemmen. Lachend streckt Maddy den Kopf ins Freie, um zu sehen, was es zu sehen gibt.
    »Vielleicht solltest du versuchen, das Zelt von außen wieder aufzurichten?«, schlägt sie vor.
    »Warum ich?«
    »Weil ich mein T-Shirt nicht nass machen will.«
    »Aber ich bin splitterfasernackt!«
    »Um diese Zeit wird dir schon keiner was weggucken«, sagt sie. »Na los, ich suche dir inzwischen ein Handtuch.«
    Und so trete ich bleich und bloß in die Nacht hinaus, um mit Wind und Regen zu ringen, während Maddy den Reißverschluss der Zeltklappe zuzieht. In diesem Augenblick dringt die Stimme eines alten Iren an mein Ohr, der sich beiläufig erkundigt, ob bei uns »alles in Ordnung« sei.
    »Oh, hallo, äh, ja, vielen Dank. Der Wind hat unser Zelt umgepustet …«
    »Ich habe zufällig gesehen, dass Sie hier unten zelten«, sinniert der alte Mann unter seinem Golfschirm, »und da dachte ich, ich sehe lieber mal nach, ob der Sturm Sie davongeweht hat.«
    Ich höre Maddy im Zelt kichern – sie hatte ihn offensichtlich kommen sehen und mich absichtlich in diese peinliche Lage gebracht.
    »Noch nicht«, witzele ich und stoße ein gekünsteltes Lachen hervor.
    »Ein Stück den Weg rauf steht eine Scheune. Wenn Sie wollen, können Sie dort übernachten.«
    »Danke, sehr freundlich von Ihnen.«
    »Wenn Sie bei diesem Wetter weiter splitternackt hier draußen herumspringen, holen Sie sich noch den Tod.«
    Wieder höre ich ein unterdrücktes Lachen, während ich im strömenden Regen stehe, mir die Hände schützend vor mein Gemächt halte und dabei zwanglos mit einem Bauern aus dem Ort zu plaudern versuche.
    »Ach, das? Ich wollte meine Kleider nicht nass machen. Trotzdem gehe ich jetzt, glaube ich, lieber wieder rein. Danke, dass Sie nach uns gesehen haben.«
    Weder spannen wir die Leinen, noch richten wir das Zelt wieder auf, und es spielt auch keine Rolle, dass wir die ganze Nacht kein Auge zutun und unsere Sachen völlig durchweicht sind, denn im Moment wollen wir weiter nichts als lachen, lachen und nochmals lachen. Wir möchten einander vermutlich beweisen, dass wir auch angesichts der größten Widrigkeiten und Gefahren einen kühlen Kopf und gute Laune bewahren. Da ist es nicht weiter wichtig, dass ich Maddys Rat ignoriert habe und eines Besseren belehrt worden bin; wir lassen uns unser Glück von nichts und niemandem vermiesen. Wir sind jung, und es stört uns nicht, engumschlungen zwischen klitschnassen Zeltbahnen zu liegen; die Euphorie des Zusammenseins hat uns gegen jegliche Unannehmlichkeit immun gemacht.
    »Mir ist eine Erinnerung gekommen!«, rief ich und stürzte aufgeregt aus dem Badezimmer. »Ich habe mich an etwas aus meinem früheren Leben erinnert!« Gary und Linda freuten sich für mich, auch wenn der Anblick eines halbnackten Mannes, der nicht nur hysterisch lachte, sondern noch dazu die Küche unter Wasser setzte, ihre Begeisterung ein klein wenig dämpfte. Ich fragte mich, was die Erinnerung ausgelöst hatte. Vielleicht die Tatsache, dass ich wie damals nackt und tropfnass war? Nein, insgeheim wusste ich, dass ich sie Maddy selbst verdankte. Linda holte mir ihren rosa Frotteebademantel und stopfte das Gästehandtuch, mit dem ich meine Scham verhüllt hatte, in die Waschmaschine.
    Wir saßen an ihrem Küchentisch, und sie versicherten mir, dies sei nur der Anfang, bald würden bestimmt auch andere Erinnerungen zurückkehren.
    »Der Damenbademantel steht dir eigentlich ganz gut«, sagte Gary, »aber du hast ja immer schon gern Frauenkleider getragen.«
    Linda versicherte mir lachend, dass ich mitnichten Transvestit sei. »Jedenfalls ist mir nichts Gegenteiliges bekannt …«
    Ich brauchte mehr solcher Geschichten, mehr Erinnerungen an Maddy. Doch Gary war da anderer Meinung. Er fand, ich solle mich lieber auf meine Scheidung konzentrieren. Sie hatten sich offenbar darüber unterhalten, während ich gebadet hatte, und nun riefen sie mir ins Gedächtnis, dass ich am Freitag vor

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