Der Mann, der seine Frau vergaß
Schwuler. Darum finde ich dich auch so attraktiv …«
»Zehn Jahre! Gott, dann sind wir fast dreißig. Mit anderen Worten: steinalt!«
»Ich habe mir vorgenommen, in Würde zu altern und eine distinguierte Erscheinung abzugeben. Wie der Typ aus der Grecian-2000-Reklame, mit ›einem Hauch von Grau‹ an den Schläfen.«
»Willst du dich etwa auch von einem britischen Knattermimen nachsynchronisieren lassen?«
»Aber hallo.«
Ohne ernsthaft darüber nachzudenken, wohin die Reise geht, wandern wir weiter zum nächsten Hügel. Trotz der schweren Rucksäcke und der Campingausrüstung marschieren wir wacker und frohen Mutes durch die irische Provinz. Es ist unser erster gemeinsamer Urlaub, die Sonne scheint, wir haben ein nagelneues Zelt – was kann da noch schiefgehen?
»Ach, Mist! Ich fass es nicht!«, schimpft Maddy plötzlich, und ihre Panik klingt echt.
»Was? Was ist denn?«
»Ich habe schon wieder vergessen, die Postkarte an Großtante Brenda in den Briefkasten zu werfen.«
»Welche Karte? Die rassistische?«
»Sie ist nicht rassistisch. Sondern die liebevolle Karikatur eines irischen Klischees.«
Auf der Karte an Großtante Brenda ist ein grinsender Comic-Kobold abgebildet, der ein Glas Guinness trinkt, und darunter steht: »Schönen guten Morgen allerseits!!« Ich finde die Karte reichlich geschmacklos, doch Maddy hält an ihrer Entscheidung fest, ihrer schon ziemlich betagten Großtante Brenda diese und keine andere Karte zu schicken.
»Sie gefällt ihr bestimmt. Sie hat Zwerge.«
»Zwerge?«
»Ja, im Garten.«
»Wo auch sonst? In den Haaren vielleicht?«
Dafür, dass er seit drei Tagen in der Seitentasche von Maddys Rucksack steckt, macht der Kobold eigentlich einen recht fidelen Eindruck. Sie hat bereits ein paar freundliche Worte auf die Rückseite geschrieben, sorgfältig die Adresse eingetragen und eine eigens zu diesem Zweck erstandene irische Briefmarke daraufgeklebt. Nur eins will ihr beim besten Willen nicht gelingen: die Karte in den Briefkasten zu stecken. Und als Maddy nach England zurückkommt und ihren Rucksack auspackt, ist da immer noch der Kobold, der ihr einen schönen guten Morgen wünscht. Und so klebt sie kurzerhand eine englische Marke über die irische, in der Hoffnung, dass Großtante Brenda es entweder nicht merkt oder noch nicht spitzgekriegt hat, dass Irland seit 1921 unabhängig ist. Als ich abends weggehe, bittet sie mich, die Karte einzuwerfen, und ich stecke sie vorsichtig in die Innentasche meiner Jacke. Als ich sie ein paar Monate später wiederfinde, frage ich mich, wie ich meiner Freundin beibringen soll, dass ich vergessen habe, ihrer legendären Großtante Brenda die rassistische Postkarte zu schicken.
Maddy und ich sind durch West Cork gewandert und getrampt und blicken nun auf einen schier endlosen Sandstreifen namens Barleycove hinunter. Links und rechts fallen Hügel zu einem herrlichen, von grasbewachsenen Dünen gesäumten Strand ab. Ein seichter Bach mündet in einen Gezeitensalzsee; hier und da sprenkeln weiße Bungalows die Hügel, und der winzige Umriss des Fastnet-Leuchtturms sticht durch den Dunst über dem Horizont.
»Wollen wir hier nicht unser Zelt aufschlagen?«, schlage ich begeistert vor. »Wir könnten schwimmen gehen, Treibholz sammeln, ein Lagerfeuer machen, die Discounterwürstchen grillen und dazu eine Fünf-Minuten-Terrine verputzen.«
»Aber die Frau im Pub hat gesagt, dass ein Unwetter aufziehen soll, weißt du nicht mehr? Komm, wir gehen nach Crookhaven zurück. Das Pub vermietet Zimmer.«
»Ich bitte dich – es ist strahlender Sonnenschein. Kannst du dir ein schöneres Plätzchen vorstellen? Hier sind wir goldrichtig!« Und schon streife ich meinen Rucksack ab.
Sechs Stunden später schrecken wir aus dem Schlaf, als sich ein Stück des Zeltdachs losreißt und bedrohlich im Wind flattert. Der trommelnde Regen verwandelt das Zelt in eine Echokammer, Wasser rinnt das Gestänge hinab und sammelt sich zu unseren Füßen in einer Pfütze. Obwohl wir die Warnungen der Wirtin buchstäblich in den Wind geschlagen haben, ist es in dem sturmumtosten Zelt eigentlich ganz gemütlich; es ist aufregend und romantisch, diese sehenden Auges herbeigeführte Krise gemeinsam zu meistern.
»Ich habe doch gleich gesagt, dass du nichts auf das Geschwätz der Frau im Pub geben sollst.«
»Du hattest ja recht. Irland ist für sein Wüstenklima nicht umsonst weltberühmt. Jetzt wird mir auch klar, woher Bob Geldofs Vorliebe für Dürren
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