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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John O'Farrell
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Gericht exakt den gegenteiligen Effekt.
    Als der Richter den Saal betrat, fiel mir auf, dass er nicht den traditionellen Kopfschmuck trug. »Oh, keine Perücke!«, sprudelte es unwillkürlich aus mir heraus. Der Richter hatte es gehört und sah mich an. Zu meinem Entsetzen stellte ich fest, dass er nicht nur keine Perücke, sondern auch noch ein Toupet trug und ich mich mit meinem Ausruf bei ihm vermutlich nicht eben beliebt gemacht hatte.
    »Scheidungsrichter tragen keine Perücken, Vaughan – das ist schließlich kein Strafprozess«, flüsterte mein Anwalt. Wir bemühten uns nach Kräften, den Richter freundlich anzulächeln, doch meine Willenskraft war zu schwach, um den Blickkontakt aufrechtzuerhalten, und so bestaunte ich stattdessen sein üppig bewaldetes Haupt.
    Es folgte das übliche juristische Vorgeplänkel, das dem Richter hoffentlich dabei half, unseren Fehlstart zu vergessen. Dann begann die eigentliche Verhandlung. Das Ganze erinnerte irgendwie an ein Quiz, dessen Teilnehmer sich einer sonderbaren Geheimsprache bedienten: Der Richter stellte eine unverständliche Frage, und die Anwälte gaben eine ähnlich rätselhafte, aber offenbar korrekte Antwort. Sie hätten sich ebenso gut über die Verwandlungen von Pokémon-Figuren unterhalten können.
    »Vertreter des Antragstellers? Pummeluff verwandelt sich in?«
    »Pummeluff verwandelt sich in Knuddeluff, Mylord.«
    »Bitte ins Protokoll aufzunehmen, dass Pummeluff sich in Knudeluff verwandelt. Vertreter des Antragsgegners? Pikachu wird zu?«
    »Pikachu verwandelt sich in Raichu, Mylord. Mittels des sogenannten Donnersteins.«
    Allmählich begriff ich, dass sie den bisherigen Verlauf des Scheidungsverfahrens zusammenfassten, und während sie aufzählten, in welchen Punkten wir uns einig waren und in welchen nicht, wanderte mein Blick immer wieder zu meiner besseren Hälfte, von deren Existenz ich noch bis vor Kurzem nichts gewusst hatte. Sie starrte stur geradeaus, mit eisiger, unbewegter Miene, lauschte der ausführlichen Geschichte unserer Trennung und ließ die Tortur tapfer über sich ergehen; anscheinend konnte sie es kaum erwarten, die leidige Angelegenheit endlich hinter sich zu bringen. Wie gern hätte ich es ihr erleichtert, wie gern hätte ich ein Lächeln auf dieses ausdruckslose Gesicht gezaubert.
    Am Abend zuvor hatte ich versucht, mich auf die Fragen vorzubereiten, die mich erwarteten, falls ich in den Zeugenstand treten musste. Mein Coach Gary hatte mir geraten, selbstbewusst und siegessicher aufzutreten. »Das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme, Alter. Du brauchst wahrscheinlich sowieso kein Wort zu sagen. Die labern sich ’nen Wolf, und am Ende stehst du auf, sagst artig ›Amen‹ oder so, und damit ist der Fisch gegessen.«
    »›Amen‹ sagt man in der Kirche.«
    »Ach ja. Dann eben ›nicht schuldig‹ oder so. ›Die Mehrheit ist dafür!‹ Ich würde mir deswegen keine grauen Haare wachsen lassen. Das klappt schon.«
    Wäre er doch dabei gewesen, und sei es nur, um zu sehen, wie grundfalsch er gelegen hatte. Gleich zu Anfang stolperte ich über eine Fangfrage, die ich beim besten Willen nicht beantworten konnte.
    »Würden Sie uns bitte Ihren vollständigen Namen nennen?«
    »Huch! Meinen vollständigen Namen?«, stammelte ich. »Sie meinen, samt zweitem und drittem Vornamen et cetera pp.?«
    »Ja.«
    »Hm, äh … mal sehen … Also, ich bin Jack Vaughan, obwohl mich alle nur Vaughan nennen, aber mein vollständiger Name … mein vollständiger, kompletter, rechtmäßiger Name … beziehungsweise Namen, also, ich würde sagen … Mister … Jack – entschuldigen Sie, ich habe einen Blackout, können Sie mir vielleicht helfen, äh, Herr Anwalt, tut mir leid, Ihren Namen habe ich leider auch vergessen …«
    Der ganze Saal starrte mich an, als wäre ich splitterfasernackt vor Gericht erschienen, was definitiv nicht der Fall war, denn die Krawatte um meinen Hals schien mich langsam, aber sicher zu erdrosseln. »Verzeihung, ich bin ein klein wenig nervös.«
    Mein Anwalt sah mich fragend an, sichtlich verwundert über meine rätselhafte neue Strategie. »Also, Ihr vollständiger Name lautet, äh, er müsste eigentlich in dem Antrag stehen. Ich habe nicht noch einmal in meinen Unterlagen nachgesehen, weil ich dachte – ich glaube, hier … Moment, nein, da …«
    »Jack Joseph Neil Vaughan«, sagte Maddy in einem Tonfall, aus dem weiter nichts sprach als unendlicher Verdruss über den Taugenichts, von dem sie geschieden werden

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