Der Mann, der seine Frau vergaß
darum hast du auch nicht eingesehen, weshalb sie die Hälfte davon kriegen sollte.«
»Aber wenn sie sich um die Kinder und den Haushalt et cetera gekümmert hat, wie hätte sie dann einzahlen sollen? Sie hat also quasi einen geldwerten Beitrag geleistet oder nicht?«
»Genau so wird ihr Anwalt argumentieren. Allerdings sind Sie überhaupt nur deshalb vor Gericht gezogen, weil Sie damit ganz und gar nicht einverstanden sind.«
»Ach nein?«
» Nein . Wir waren uns von Anfang an einig, dass sie – selbst als die Kinder noch klein waren – durchaus hätte arbeiten können, wenn sie denn gewollt hätte, sich aber bewusst dagegen entschieden hat.«
»Hm, knifflige Frage«, sinnierte ich und presste die Zeigefinger aneinander. »Handelte es sich wirklich um eine bewusste Entscheidung? Aus freien Stücken? Vielleicht war ich beruflich ja so eingespannt – Papierkram, Personalversammlungen, Klassenarbeiten korrigieren, die Tafel abwischen … machen Lehrer das heutzutage noch? –, dass sie nach der Geburt der Kinder gar keine Möglichkeit mehr hatte, eine ernsthafte Karriere anzustreben?«
Mein Anwalt massierte sich die Schläfen, als hätte er soeben rasende Kopfschmerzen bekommen, und seine Verzweiflung steigerte sich noch, als ich auch unsere Haltung hinsichtlich der Vermögensaufteilung und des Sorgerechts infrage zu stellen begann. »Ich finde, wir verfolgen da einen ziemlich harten und noch dazu überaus törichten Kurs.«
»Das hier ist ein Scheidungsgericht, Mr. Vaughan, nicht Disneyland. Entweder Sie kämpfen bis aufs Messer, oder Sie gehen mit fliegenden Fahnen unter.«
Der Anwalt meinte, es gebe keine andere Möglichkeit, als auf der Basis der vereinbarten Modalitäten zu verfahren, und Gary gab zu bedenken, dass Maddy mich für umso großzügiger halten würde, wenn ich im Nachhinein auf die eine oder andere meiner Forderungen verzichtete. Trotzdem gab die kompromisslose Haltung meines früheren Ichs mir schwer zu denken. Um die praktischen Probleme zu lösen, die mein Antrag auf das Sorgerecht für meine Kinder mit sich brachte, hatte mein Anwalt den Vorschlag gemacht, dass die beiden auf die Gesamtschule wechseln sollten, an der ich unterrichtete. Als er das hörte, holte Gary tief Luft.
»Möchtest du ihnen das wirklich antun, Alter?« Ich fand es absurd, das Leben der Kinder noch weiter durcheinanderzubringen, und fragte mich, was der alte Vaughan sich dabei wohl gedacht hatte. Mein Selbstfindungsprozess glich dem Häuten einer Zwiebel. Und je mehr Schichten ich entfernte, desto mehr war mir zum Heulen zumute.
»Gut, sollen wir reingehen?«, schlug der Anwalt vor, bevor ich alles noch komplizierter machte. Zu meinem Leidwesen hatte Gary keinen Zutritt zum Gerichtssaal, und so wurde ich allein von meinem schnieken Advokaten in jene unheiligen Hallen eskortiert, wo Ehen zum Sterben hingingen.
Der Raum war kleiner und moderner als erwartet und hatte keinerlei Ähnlichkeit mit den riesigen eichengetäfelten Sälen, die unzählige dramatische Gerichtsszenen aus längst vergessenen Fernsehserien in meinem Unterbewusstsein verankert hatten. Es roch nach Möbelpolitur und frisch verlegten Teppichfliesen, und an der Wand hing ein altes Porträt der Königin, wohl um die Scheidungspaare daran zu erinnern, dass es Familien gab, die noch zerrütteter waren als die ihre. Ein Referendar, ein Notar und sein Gehilfe stießen zu uns, und schließlich kamen auch Maddy und ihre Entourage hereingeschneit und nahmen auf der anderen Seite des Mittelganges Platz. Bei ihrem Anblick machte mein Herz vor Freude einen Satz, und ich sah lächelnd zu ihr hinüber, doch sie war offenbar der Meinung, ein Scheidungstermin sei kein sonderlich geeigneter Anlass für überschwengliche Zuneigungsbekundungen. Ihr Anwalt redete minutenlang auf sie ein, und sie lauschte konzentriert; als sie zwischendurch einmal aufsah und unsere Blicke sich zufällig trafen, schaute sie sofort in eine andere Richtung. Sie trug ein elegantes dunkles Kostüm und eine schlichte weiße Bluse. »Genau das richtige Outfit für einen Scheidungstermin«, dachte ich. Jedenfalls für eine Frau. Obwohl … Wenn ein Mann in diesem Aufzug vor den Scheidungsrichter trat, konnte der sich ungefähr vorstellen, woran die Ehe gescheitert war. Dass Maddy kaum ein Lächeln zustande brachte, machte mir Sorgen. Zwar war der Anlass alles andere als freudig, trotzdem hätte ich sie gern ein wenig aufgeheitert. Wie sich herausstellen sollte, hatte mein Auftritt vor
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