Der Mann, der seine Frau vergaß
und mich aus reiner Höflichkeit auf diese durchaus plausible Geschichte einzulassen, fühlte mich gleichzeitig jedoch verpflichtet, trotz oder gerade wegen der unglaublichen Verlogenheit dieser Situation so aufrichtig wie möglich zu sein.
»Ehrlich gesagt, habe ich daran keinerlei Erinnerung«, erklärte ich seufzend. Maddys Anwalt schaute verdutzt drein. Als hätte ich ihn nach allen Regeln der Kunst ausmanövriert.
»Brillant!«, flüsterte mein Rechtsbeistand.
»Sie können sich also nicht erinnern?«, höhnte der gegnerische Anwalt. »Wie praktisch …«
»Nein, leider nicht. Vielleicht habe ich ihr das gesagt. Vielleicht aber auch nicht. Es ist lange her, und ich kann mich beim besten Willen nicht entsinnen.«
Der Richter griff ein. »Hätten Sie diesen, äh, ›Finanzberater‹ denn nicht vorladen können?«
»Wir haben es versucht, Herr Vorsitzender. Leider hat er das Land verlassen, um sich einer Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung zu entziehen.«
»Das führt doch zu nichts … Können wir fortfahren?«
»Dann erinnern Sie sich bestimmt auch nicht, Ihrer Frau weitere Zusicherungen gemacht zu haben, oder, Mr. Vaughan?«, improvisierte ihr Anwalt mit einem Anflug von Verzweiflung in der Stimme.
Maddy schüttelte verächtlich und enttäuscht zugleich den Kopf. »Es genügt offenbar nicht, dass du das ganze Geld kassiert hast«, fauchte sie. »Du musstest dir auch noch die Heckenschere unter den Nagel reißen! Dabei hast du noch nicht mal einen Garten!«
»Ruhe, bitte«, sagte der Richter.
»Ich will die Heckenschere nicht. Du kannst sie gerne wiederhaben …«
»Ruhe, Bitte !«, verlangte der Richter, und als ihr Anwalt zum nächsten Tagesordnungspunkt überging, versuchte ich, Maddys Blick zu erhaschen, um ihr zu sagen, dass sie die Heckenschere haben könne – und ich ihr notfalls sogar eine neue kaufen würde. Sie brachte es noch nicht einmal über sich, mich anzusehen.
Der Gedächtnistest ging in die nächste Runde: die Jahre unserer Ehe und die Aufgabenteilung zwischen den beiden Parteien.
»Mr. Vaughan, würden Sie behaupten, dass Sie neben Ihrer beruflichen Tätigkeit auch fünfzig Prozent der Kindesbetreuung übernommen haben?«
»Äh, nein, wohl kaum. Schon weil ich vermutlich noch bei der Arbeit war, wenn die Kinder aus der Schule kamen.«
»Vermutlich«, wiederholte er vielsagend. »Könnten Sie Ihren Anteil an der Kindesbetreuung überhaupt beziffern?« Mit großer Geste zählte er eine Reihe einschlägiger Tätigkeiten auf. »Haben Sie die Kinder von der Schule abgeholt? Ihnen bei den Hausaufgaben geholfen? Haben Sie ihnen das Abendessen gekocht? Sie in den Schwimmverein oder zum Musikunterricht gefahren? Haben Sie vierzig, dreißig oder doch eher null Prozent dieser Arbeit geleistet?«
»Nun ja, so genau lässt sich das nicht sagen«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Auf jeden Fall sehr viel weniger als Madeleine.« Ich blickte nervös zu meinem Anwalt, der indigniert die Stirn runzelte, als könne er persönlich bezeugen, dass sein Mandant die Kinder über Jahre regelmäßig gebadet und ihnen Gutenachtgeschichten vorgelesen hatte.
»Könnte man sagen, dass Sie schwerlich in der Lage gewesen wären, so viel Zeit und Energie in Ihre berufliche Karriere zu investieren, wenn Madeleine Ihnen nicht den Großteil der Haus- und Familienarbeit abgenommen hätte?«
»Ja, da ist durchaus was dran …«
Maddy blickte auf.
»Dann sind Sie also nicht der Meinung, dass der Anteil der bezahlten und unbezahlten Arbeit, die Sie beide während dieses Zeitraums geleistet haben, sich in einer Vermögensaufteilung von siebzig zu dreißig in angemessener Weise niederschlägt?«
»Nein, eine Aufteilung von fünfzig zu fünfzig wäre wohl angemessener.« Ich starrte meine Frau an. Die machte ein verblüfftes Gesicht.
Einen Augenblick lang herrschte leicht verwirrtes Schweigen, und nur das wilde Summen der eingeschlossenen Fliege war zu hören. Leider befanden wir uns nicht in einem riesigen Gerichtssaal mit Presseleuten, Zeugen und einer vollbesetzten Zuschauergalerie, sonst wäre an dieser Stelle wohl ein aufgeregtes Raunen durch die Reihen gegangen, worauf der Richter mit dem Hammer auf sein Pult geschlagen und »Ruhe, oder ich lasse den Saal räumen!« gerufen hätte. Maddys Anwalt schaute verdattert drein. Offenbar war er ganz darauf geeicht, grundsätzlich zu allem Nein zu sagen; er suchte nach Worten, fand aber keine. Weshalb sich mein Rechtsbeistand genötigt fühlte, auf das
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