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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John O'Farrell
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speziell schmecken dürfte wie noch vor ein paar Tagen.«
    Die Mikrowelle piepte, und Gary biss in eine aufgewärmte Frühlingsrolle.
    »Äh – nein danke. Wie viel Uhr ist es?«
    »Du bist ziemlich spät dran. In einer Stunde musst du bei Gericht sein – aber vorher solltest du dir vielleicht die Falten aus dem Gesicht bügeln.«
    Gary merkte mir an, dass ich nervöser war als sonst. Er hielt es für unnötig, den ganzen Weg von der U-Bahn bis zum Gerichtsgebäude im Laufschritt zurückzulegen. »Entspann dich, die werden schon nicht ohne dich anfangen.« Noch ahnte ich nicht, was für ein erbärmlicher Ehemann ich gewesen war. Zum Glück wartete auf der Vortreppe des Gerichts kein wutschäumender Mob, der die Polizeiabsperrung zu durchbrechen drohte, mich bespuckte und »Du Schwein!« rief, während mir jemand eine graue Decke über den Kopf zog.
    »Vaughan! Da sind Sie ja!«, sagte ein piekfeiner junger Mann, dessen Krawatte noch schriller war als seine Stimme. »Ich dachte, wir wollten uns vorher treffen?«
    »Sind Sie Vaughans Anwalt?«, fragte Gary. »Wir haben gestern miteinander telefoniert.«
    »Ja, hallo. Vaughan, wenn ich Ihren Freund richtig verstanden habe, möchten Sie die Fragen, die Ihnen vor Gericht gestellt werden könnten, vorher mit mir durchgehen, damit Sie wissen, was Sie sagen sollen?« Aus seinem Mund klang meine nur allzu berechtigte Bitte wie ein unsittlicher Antrag.
    »Äh, ja. Genau.«
    » Noch mal ?«, sagte er pikiert.
    »Wieso noch mal?«, fragte ich unwillkürlich zurück.
    »Weil wir genau das schon bei unserem letzten Termin getan haben. Und wir sollten es nicht übertreiben.«
    »Äh, das hat Vaughan sehr geholfen«, fuhr Gary dazwischen, »aber als wir das Ganze gestern ein letztes Mal durchgegangen sind, stellte sich heraus, dass er sich in dem einen oder anderen Punkt nicht ganz sicher ist, stimmt’s, Alter?«
    »Aha«, sagte der Anwalt und schlug seine Ledermappe auf. »Wir haben nicht mehr viel Zeit. Und was genau soll ich Ihnen noch einmal erklären?«
    Ich sah Hilfe suchend zu Gary, in der Hoffnung, dass er die passende Antwort auf diese Frage wusste. Fehlanzeige. »Na ja, das große Ganze, so überhaupt und allgemein und insgesamt … Sie wissen schon. Die Scheidung. Wenn’s recht ist.«
    Es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren, weil ich ihm die ganze Zeit über die Schulter spähte und nach Maddy Ausschau hielt.
    »Wie ich bereits sagte, gehen Mrs. Vaughans Forderungen für meinen Geschmack entschieden zu weit.«
    »Nun ja, das kann man so oder so sehen«, widersprach ich. »Ihr Anwalt denkt wahrscheinlich, meine Forderungen gingen entschieden zu weit.«
    Mein Einwand schien ihn zu irritieren. »Woher dieser abrupte Sinneswandel, Mr. Vaughan?«
    Gary wollte unter allen Umständen verhindern, dass mein plötzlicher Rückzieher Verdacht erregte. »Jetzt, wo die Scheidung unmittelbar bevorsteht, bereitest du dich wahrscheinlich schon auf die nächste emotionale Ebene vor, stimmt’s, Alter? Vergebung, Versöhnung, Kooperation. Steht alles in Scheidung für Dummies .«
    »Das habe ich leider nicht gelesen«, sagte der Anwalt. »Stand wohl nicht in der Unibibliothek.«
    Da der Anwalt uns seinen Namen bislang nicht verraten hatte, war ich gezwungen, auf Formulierungen wie » unserem verehrten Kollegen zufolge« oder »wie mein geschätzter Rechtsbeistand ganz richtig sagte« zurückzugreifen. Außerdem hielt ich noch immer Ausschau nach der wunderschönen Frau, die sich von mir scheiden lassen wollte, und so verkam das unverständliche Fachchinesisch meines Anwalts zur bloßen Geräuschkulisse, während ich in Gedanken ganz woanders weilte.
    »Was es mit dem Versorgungsausgleich auf sich hat, ist Ihnen also klar?«, fragte er.
    »Wie? Ach, äh, mehr oder weniger …«, stammelte ich. »Warum? Wird mich der Richter etwa danach fragen?«
    »Nein. Was die Altersversorgung betrifft, haben die beiden Parteien sich bereits darauf geeinigt, die Differenz der Versorgungsanwartschaften nach dem Bargegenwert auszugleichen.«
    »Wusste ich’s doch …«
    »Das Problem ist, dass Maddy die Hälfte fordert.«
    »Klingt vernünftig«, sagte ich gutgelaunt. Sein fassungsloses Schweigen hielt so lange an, dass ich schon befürchtete, er könnte mir die Zeit extra berechnen. »Es tut mir leid, Mr. Vaughan, aber in diesem Punkt haben wir bislang keinen Zentimeter nachgegeben.«
    »Pass auf, Alter, du hast praktisch allein in die Rentenversicherung eingezahlt«, fuhr Gary dazwischen, »und

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