Der Mann, der seine Frau vergaß
schnurstracks ins … Da fiel mir ein, dass ich keinen Schimmer hatte, wie man von A nach B gelangte. Hatte ich überhaupt Talent? Oder würde sie mich für einen Versager halten? Vielleicht sollte ich mir eine Ausrede einfallen lassen und die ganze Sache abblasen? Erst als plötzlich mein Handy piepte, merkte ich, wie aufgeregt ich war. Die Nachricht lautete: »Habe Wein gekauft. Bin im Geräteraum. S.x«
Ich fing an zu zittern. Sie hatte die SMS mit »S.x« unterschrieben. In meinem Hinterkopf klingelte etwas. Mit einem Mal war nichts mehr, wie es eben noch gewesen war. Sie hatte mich der gemeinsamen Heimfahrt beraubt, der Zeit, die ich brauchte, um mich auf den großen Augenblick vorzubereiten. Stattdessen hatte sie einfach den Geräteraum aufgeschlossen und wartete dort auf mich, in einem Kabuff, wo es nach Schweiß und Gummi roch. Ich würde meine Unschuld in der Turnhalle verlieren wie die unterbelichtete Sportskanone in einem amerikanischen Teeniefilm.
Die Tür stand einen Spaltbreit offen, und Suzanne saß mit einer Flasche Rotwein und zwei Plastikbechern auf einem Stapel Gymnastikmatten. Der Raum war ein einziges großes Durcheinander: Überall standen Hallenfußballtore, zusammengeklappte Tischtennisplatten, Korbballstangen und Laufhürden, und dazwischen lagen bunte Leibchen und Bälle jeglicher Form und Größe. Bei Suzanne sah der Lotossitz völlig natürlich aus – sie saß da wie eine buddhistische Statue, wie eine Yogalehrerin, während meine schlaksigen Beine sich beharrlich weigerten, sich zu verschränken, und meine Gliedmaßen steif wurden bei dem Versuch, so entspannt wie möglich zu wirken. Schließlich hockte ich mich auf die Kante eines niedrigen Bänkchens und trank meinen Wein viel zu schnell, während wir so taten, als würden wir uns unterhalten.
»Alles in Ordnung, Vaughan?«
»Ja, alles bestens, alles prima. Wieso?«
»Weil du wie wild mit den Knien wackelst.«
»Oh, tut mir leid. So, jetzt ist Ruhe. Möchtest du noch Wein?«
»Nein, ich habe noch.«
»Es gibt doch bestimmt irgendeine Vorschrift, nach der es Mitgliedern des Kollegiums streng verboten ist, im Geräteraum nach Mitternacht noch Alkohol zu trinken«, witzelte ich.
»Wer soll schon davon erfahren? Kofi und John sitzen sowieso die ganze Nacht in ihrer Loge, außerdem kann ich ja immer noch abschließen.« Sie stand auf und verriegelte mit vielsagend hochgezogener Augenbraue die Tür. Ich schnappte unwillkürlich nach Luft.
Trotzdem, noch harrte der Rubikon der Überquerung. Noch plauderten wir nur; noch waren wir weiter nichts als zwei Kollegen, die sich im Pub kennengelernt hatten und jetzt in aller Unschuld ein Gläschen miteinander tranken, im verschlossenen Geräteraum der Turnhalle, nach Mitternacht.
»Ich finde es unglaublich, dass du dich echt nicht daran erinnern kannst, jemals Sex gehabt zu haben.« Kichernd setzte sie sich neben mich und schaute mir tief in die glasigen Augen.
»Ja, aber das Schwimmen habe ich schließlich auch nicht verlernt. Und das Radfahren ging wie von selbst …«
»Dann kannst du auch noch Auto fahren?«
»Äh, also, ehrlich gesagt, nein. Ich hab’s versucht. Und dabei die Gartenmauer meiner Nachbarn demoliert.«
Ihr irres Gelächter verriet mir, dass sie noch betrunkener war als ich.
»Was hältst du davon, wenn ich dir ein paar Fahrstunden gebe?« Sie gluckste.
»Äh, nein, für meinen Geschmack geht nichts über einen richtigen Fahrlehrer und einen Wagen mit Doppelpedalerie et cetera pp. Ah, jetzt verstehe ich …« Der Rest des Satzes blieb mir buchstäblich im Halse stecken, als sie mich auf den Mund küsste.
Ihre Haut verströmte einen ganz eigenen Duft: wie ein Pub mit angeschlossener Parfümerieabteilung. Sie saugte sich an meinen Lippen fest. Ich roch Haarlack. Entweder hatte sie darin gebadet, oder sie hatte das Zeug getrunken, als dem Wirt der Wodka ausgegangen war. »Also gut«, dachte ich. »Da musst du jetzt durch.« Ich überlegte, wie viele Frauen ich in meinem vorigen Leben so geküsst hatte. Wenn man Gary glauben dürfte, war ich eher der schüchterne Typ gewesen; angeblich hatte ich auf der Uni nicht halb so viele Herzen erobert wie er und andere Frauen keines Blickes mehr gewürdigt, seit ich Maddy kannte.
Schließlich machte ich mich unter dem Vorwand, noch einen Schluck Wein trinken zu wollen, von ihr los. Ich hatte mich redlich bemüht, aber Maddy ging mir nicht mehr aus dem Sinn. Der Körper dieser Frau unterschied sich grundlegend von dem der
Weitere Kostenlose Bücher