Der Mann, der seine Frau vergaß
wir aufgehört haben?«
Aber der Zauber war verflogen. Hatte der Alkohol ihr zuvor jegliche Hemmungen genommen, machte er sie jetzt hochgradig paranoid, und mit Schrecken sah ich zu, wie sie sich wieder anzog.
»Wir könnten in Teufels Küche kommen«, meinte sie und setzte hinzu: »Ich trage die Verantwortung für diese Geräte.« Ein ziemlich starkes Stück von einer Frau, die ebendiese Verantwortung noch vor wenigen Minuten durch eine heiße Nummer auf den Gymnastikmatten unter Beweis gestellt hatte.
Erst Lust, dann Frust. Ich hatte mir einen Film ab 18 angesehen und war vor dem Ende gegangen; ich hatte Gras geraucht, aber nicht inhaliert; ich hatte gelernt, mir ein Kondom überzustreifen, was ich mir ebenso gut hätte sparen können. Ob ich es mir für eine andere Gelegenheit aufheben sollte? Lieber nicht, beschloss ich, wickelte es in ein Papiertaschentuch und schob es mir in die Jackentasche. »Zählt das?«, überlegte ich. Ich hatte mit einer Frau geschlafen, aber es war nicht zum Höhepunkt gekommen. Genügte das, um mich zu einem erwachsenen Mann zu machen? Ja, und ob das zählte! Ich hatte meine Durststrecke überwunden, meine zweite Unschuld verloren. Jetzt konnte ich Mick Jagger in die Augen sehen.
Wir zogen uns an, und damit war nicht nur diese Nacht, sondern auch unsere Beziehung beendet. Sie schlug mir vor, als Erster zu gehen; sie wolle noch zehn Minuten warten und den Geräteraum in Ordnung bringen, damit die Jungs am Eingang keinen Verdacht schöpften. Ich gab ihr einen Schmatz auf die Wange, bedankte mich etwas zu überschwenglich und trat in die Turnhalle hinaus; ich fühlte mich noch immer wie ein Superheld. In der Spielfeldmitte lag ein vergessener Fußball. Als ich das Tor am anderen Ende der Halle entdeckte, nahm ich einen kurzen Anlauf und beförderte das Leder mit einem perfekt platzierten Schlenzer zwischen die Maschen. Triumphierend riss ich die Arme hoch. »Schuss! Und Toooooooor!«
Ich war höchst zufrieden mit mir. Ich war das Ass der Asse, der Meister aller Klassen, der Sechs-Millionen-Dollar-Mann. Ich platzte fast vor Stolz, als ich Kofi und John eine gute Nacht wünschte. Die beiden verhielten sich irgendwie merkwürdig und hatten rote Ränder um die Augen, ganz so als hätten sie geweint. Oder gelacht. Ich warf einen Blick auf den kleinen Überwachungsmonitor über dem Tresen und sah ein Schwarz-Weiß-Bild von Suzanne, die im Geräteraum in ihren Mantel schlüpfte. Als ich wie ein begossener Pudel zur Tür hinausschlich, brachen sie von Neuem in brüllendes Gelächter aus.
18. KAPITEL
Wenn Maddy das Großstadtleben wieder einmal gründlich satt hatte, kaufte sie sich ein Lifestyle-Pornoblättchen namens Coastal Living. Darin: Strandhäuser mit sonnengebleichter Fassade und Küchentischen, auf denen weiter nichts lag als ein frisch gepflücktes Sträußchen Meerfenchel oder eine kunstvoll arrangierte Muschel. Sommersprossige Kinder mit gestreiften T-Shirts und Sand an den Knien vertilgten knuspriges Bauernbrot, das sie von hellblau lackierten Anrichten stibitzten.
Ich fragte mich, warum es nicht auch ein Schöner-Wohnen-Magazin für das luxuriöse Ambiente gab, in dem ich zu Hause war? Vaughan weilt abwechselnd in seinem gemütlichen Zimmer im Streathamer Hi Klass Hotel und dem angrenzenden Bad, wo er auf der rutschfesten Badematte eine erlesene Kollektion grüner und schwarzer Schimmelpilze züchtet. »Ich genieße es, in einem billigen Südlondoner Hostel zu wohnen, das vornehmlich von Prostituierten frequentiert wird«, sagt der 39-Jährige. »Von meinem dreckigen Fenster im vierten Stock hat man einen herrlichen Blick auf die Abluftschächte des Kebabladens gegenüber.« Weder kochen noch waschen zu können mache das Leben sehr viel leichter, sagt Vaughan, und da er die leeren Essenskartons und -behälter in einer Zimmerecke stapele, könne er jederzeit in Erinnerungen an seine kulinarischen Streifzüge durch die Imbissstuben der Umgebung schwelgen.
Ursprünglich hatte ich mir vorgenommen, die schier endlosen Osterferien dazu zu nutzen, Klassenarbeiten zu korrigieren, Stundenpläne zu erstellen und Papierkram zu erledigen; nebenbei wollte ich jede freie Minute mit meinen Kindern verbringen und meinen Vater regelmäßig im Krankenhaus besuchen. Doch als ich am späten Mittwochnachmittag unter der billigen Hotelbettdecke hervorkroch und einen Blick auf meinen Nachttischwecker warf, musste ich mir zähneknirschend eingestehen, dass daraus wohl nichts werden würde. Meine
Weitere Kostenlose Bücher