Der Mann, der seine Frau vergaß
guten Vorsätze erforderten ein Maß an Energie und Lebenslust, das mir auf mysteriöse Weise abhandengekommen war. Sowohl mein Handy als auch mein Laptop hatten schon lange keinen Saft mehr. Natürlich hätte ich sie ohne Weiteres aufladen können, wäre nicht auch mein eigener Akku fast leer gewesen.
Ich war noch genauso unrasiert wie am Tag zuvor – wie es schien, hatte selbst mein Bart das Wachstum eingestellt. Ich sah so ungesund aus, dass ich beschloss, meinem geschundenen Körper ein paar dringend benötigte Vitamine zuzuführen. Also durchforstete ich die leeren Curry-Kartons und stieß auf einen drei Tage alten Plastikbeutel mit geschreddertem Salat, die verschmähte Beilage zu einer Portion Hähnchen Tikka Masala.
Ich schaltete zum x-ten Mal den Fernseher ein und zappte mich zu einem Nachrichtensender durch, doch das Weltgeschehen weigerte sich nach wie vor beharrlich, seinem Namen gerecht zu werden. Ich sah mir eine amerikanische Daytime-Talkshow an, in der es um ein Pärchen ging, das sich scheiden ließ, weil die beiden erfahren hatten, dass sie Bruder und Schwester waren. Zumindest dieses Problem hatten Maddy und ich nie gehabt. Jedenfalls war mir nichts Gegenteiliges bekannt. Hätte sich allerdings herausgestellt, dass Jean meine Mutter war, hätte ich mir wahrscheinlich eine Kugel in den Kopf gejagt.
Wie üblich nahm ich nur die eine Hälfte des Doppelbetts in Anspruch. Vor Kurzem erst hatte ich bemerkt, dass ich instinktiv die linke Seite der Matratze bevorzugte und die andere Hälfte automatisch unbenutzt ließ. Aber jetzt starrte ich auf ein Stück Papier, das derlei Betrachtungen überflüssig machte.
Mündlich hatte ich sämtlichen Bedingungen in diesem Dokument bereits vor Wochen zugestimmt; nun brauchte ich die gestempelten Papiere nur noch vor Zeugen zu unterzeichnen, sie in den teuren, vorfrankierten Rückumschlag zu stecken, und meine Ehe war Vergangenheit. Es kostete mich keine fünf Sekunden, meinen Namen darunterzusetzen, trotzdem hatte ich in vier Tagen des Nichtstuns keine Zeit dafür gefunden. Ich hatte den Wisch auf den wackligen Nachttisch gelegt, doch jetzt krauchte ich aus dem zerwühlten Bett und warf ihn zu dem anderen Gerümpel in der Ecke. Nicht die Tatsache, dass ich damit endgültig den Schlussstrich unter meine Ehe ziehen würde, lähmte mich, sondern die zusätzliche Demütigung, das Formular vor Zeugen unterschreiben zu müssen.
Ich hatte mit dem Gedanken gespielt, den Inhaber des Hi Klass Hotels, einen Fettsack aus der ehemaligen Sowjetrepublik Dingsbumsistan, um diesen Gefallen zu bitten. Andererseits hatte ich den dunklen Verdacht, dass ich ihm ein Dorn im Auge war, weil ich jeden Abend den Preis für eine Übernachtung bezahlte und dann tatsächlich die ganze Nacht in meinem Zimmer verbrachte. Immer wenn ich ihm über den Weg lief, bekam ich ein schlechtes Gewissen, weil ich mich nicht schon eine Viertelstunde nach meiner Ankunft wieder davonstahl. Ich könnte natürlich auch eine der Damen fragen, die hier regelmäßig Kunden empfingen, überlegte ich. Beruf der Zeugin: Prostituierte . Das würde bestimmt Eindruck machen.
Wildfremde Menschen beim Geschlechtsverkehr belauschen zu müssen, trug nicht eben zur Besserung meines Gemütszustandes bei. Hin und wieder dachte ich an die Nacht im Geräteraum, doch davon war nur ein Gefühl der Leere zurückgeblieben. Wichtiger als die körperliche Erfahrung mit Suzanne war der Umstand, dass sie mir geholfen hatte, mich an den Sex mit Madeleine zu erinnern. Fragliche Erinnerungen waren zwar nicht besonders anregend oder erotisch, doch war mir bis dahin mitunter so gewesen, als würde ich eine Ehe beenden, die ich nie vollzogen hatte.
Mir fiel ein, dass Maddy beim Sex redete. Wenn auch nicht unbedingt so, wie Frauen es in Männerfantasien gemeinhin taten – weder stöhnte sie ekstatisch, noch keuchte sie: »O ja, das ist fantastisch! O ja, ja!« Das war nicht Maddys Stil. Nein, in der heißen Liebesnacht, die mir unwillkürlich in den Sinn kam, steuerten wir langsam, aber sicher dem Höhepunkt entgegen, und während ich mich ächzend und grimassierend abrackerte, sah sie plötzlich zu mir hoch und sagte: »Mensch, ich darf auf keinen Fall vergessen, den Zettel für Dillies Schulausflug zu unterschreiben …«
Und das beileibe nicht zum ersten Mal. Wenn ich glaubte, sie sei mit Feuereifer bei der Sache, teilte sie mir unvermittelt mit, dass sie den Wagen zur Inspektion angemeldet habe, oder dachte laut darüber nach, ob
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