Der Mann im Karton
»Aber das hier wird
Ihnen gut tun — für die Muskeln gibt es nichts Besseres als ein Dampfbad.«
Auch er trug lediglich ein Tuch
um die Hüften. Ich betrachtete mir die dunklen Säcke unter seinen Augen und das
Hängekinn, den Steakfriedhof und die verschwommene Taille, deren Formung die
Muskeln schon längst aufgegeben hatten — und sagte mir, daß er wohl mehr nötig
hatte als Saunabesuche.
»Nehmen Sie Platz, Boyd«, sagte Tybolt großzügig. »Was haben Sie auf dem Herzen?«
Ich setzte mich neben ihn auf
die ungemütliche Steinbank und fühlte, wie mir rundherum der Schweiß ausbrach.
»Wußten Sie, daß ich Detektiv
bin?«
»Das weiß das ganze Theater,
seit Kasplin dort gestern über Sie hergezogen ist«,
kicherte er. »Er glaubt, Sie überschätzen den Wert Ihrer Dienste.«
»Er ist ein kleiner Mann — vielleicht
hat er auch nur einen kleinen Horizont«, sagte ich leichthin. »Margot Lynn
fürchtet, sie stehe im Fall Kendall als Verdächtige Nr. 1 auf der Polizeiliste.
Deshalb hat sie mich beauftragt.«
»Kann ich verstehen — daß die
Polizei es so sieht«, meinte Tybolt . »Und was habe
ich damit zu tun?«
»Ich habe mich heute nachmittag mit Donna Alberta unterhalten«, erklärte
ich. »Sie hegt genaue Vorstellungen darüber, was Sie mit der Sache zu tun
haben; beispielsweise als Komplize Margots, der wegen des Pekinesen angerufen
und später die Polizei benachrichtigt hat, damit sie eintraf, als Margot den
Kasten mit der Leiche öffnete.«
»Das ist ja lächerlich!« Tybolt lachte. »Welchen Beweggrund sollte ich denn dafür
haben?«
»Sie waren Donna böse, weil Sie
bei ihr nicht landen konnten«, sagte ich. »Sie wollten sich rächen — genau wie
Margot, der Donna Mr. Kendall abspenstig gemacht hat.«
»Absurd!« Er wischte sich mit
einem Handtuchzipfel die Tropfen von der Stirn. »Sie nehmen doch solchen Unfug
hoffentlich nicht ernst, Boyd?«
»Nicht unbedingt«, sagte ich.
»Heute früh habe ich Earl Harvey besucht. Das ist ein Mann, den ich durchaus
ernst nehme.«
»Harvey?« Tybolts schwammige Züge wurden einen Augenblick hart. »Fangen Sie mir bloß nicht von
dem an. Diese Witzfigur von einem Impresario!«
»Ich wundere mich, wieso Sie
für ihn arbeiten, wenn Sie so über ihn denken«, sagte ich.
»Auch ein Bariton muß Geld
verdienen«, sagte er. »Und die Gage ist Spitzenklasse, das wissen Sie ja.«
»Gewiß«, gab ich zu; »das weiß
ich. Harvey hat es sich einige Mühe kosten lassen, mich davon zu überzeugen —
er hat sogar einen Schwergewichtler bemüht.«
»So?« Tybolt schien nicht sonderlich interessiert.
»Warum spielen wir nicht mit
offenen Karten?« schlug ich vor. »Margot will nicht über Harvey reden, aber
wenn ihr Leutnant Chase die Daumenschrauben anlegt, wird sie es doch tun.«
»Ich weiß wirklich nicht, wovon
Sie sprechen, lieber Mann«„ sagte Tybolt distanziert.
»Wenn Sie wollen, erkläre ich’s
Ihnen«, seufzte ich. »Ich nehme an, daß ein Mann mit Earls Ruf normalerweise
keine Chance hat, Leute wie Sie, Margot und Donna Alberta für sein Unternehmen
zu verpflichten. Also muß er ein spezielles Argument besitzen.«
»Ich beginne zu verstehen,
wieso Kasplin Sie für überheblich hält, Boyd«,
schnauzte er. »Das ist doch lächerlich!«
»Wenn Margot erst bei der
Polizei auspackt, kommt alles ans Licht«, sagte ich kalt. »Ihr Name wird neben
denen von Margot und Donna Alberta in den Schlagzeilen stehen. Noch haben Sie
die Wahl, Tybolt , aber viel Zeit für die Entscheidung
bleibt Ihnen nicht mehr. Wenn ich die Sache in die Hand nehme, läßt sich die
Publicity vielleicht noch vermeiden.«
Er wischte sich erneut die
Stirn. »Was wollen Sie wissen?« fragte er nervös.
»Dies: Was hat Harvey gegen Sie
in der Hand, damit Sie in seiner Oper mitspielen?«
»Wenn ich’s Ihnen verriete«,
meinte er und schielte mich von der Seite an, »wer garantiert mir, daß Sie es
für sich behalten?«
»Niemand«, sagte ich. »Aber es
liegt doch nahe, daß ich schweige. Margot Lynn ist meine Klientin und sitzt im
selben Boot wie Sie. Wenn ich über Sie aus der Schule plaudere, bringe ich doch
auch Margot in Schwierigkeiten.«
Tybolt dachte ein Weilchen darüber
nach, dann nickte er. »Das klingt logisch. Also gut, ich lernte Harvey vor
einem Jahr kennen — auf irgendeiner Party, den Gastgeber habe ich vergessen.
Sechs Monate später machte ich Urlaub in Acapulco, und Harvey logierte sich
zwei Tage nach mir im selben Hotel ein.«
»Klingt nach einem
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