Der Mann im Labyrinth
Etwas mit langen Zähnen lauerte auf der Schwelle der vor ihnen liegenden Tür. Vorsichtig zog Charles Boardman das Gewehr aus seinem Tornister und stellte den Zielsucher ein. Er justierte die Waffe auf eine Masse von maximal dreißig Kilogramm und auf eine Entfernung von fünfzig Metern. „Alles klar“, erklärte er Rawlins und schoß. Die Energielanze prallte gegen die Wand. Schimmernd grüne Blitze durchfuhren das vorherrschende Purpurrot. Das Tier sprang hoch und streckte im Todesschmerz alle Glieder aus. Dann stürzte es zu Boden. Wie aus dem Nichts erschienen drei kleine Aasfresser, die das Opfer in Stücke rissen.
Boardman kicherte. Man brauchte nicht besonders geschickt zu sein, um mit einem so ausgerüsteten Gewehr sein Opfer zu treffen, wie er sich selbst eingestand. Aber es war schon sehr lange her, seit er das letzte Mal auf die Jagd gegangen war. Damals war er dreißig gewesen. Eine volle Woche hatte er mit einer Jagdgesellschaft aus acht Geschäftsleuten und Regierungsbeamten im Saharareservat verbracht. Er hatte mitgemacht, weil das für seine Karriere von Nutzen sein konnte. Aber er haßte alles an dieser Reise: die glühend heiße Luft in seinen Lungen, das Sengen der Sonne, die gelbbraunen Tiere, die tot im Sand lagen, die Prahlereien, die sinnlose Lust am Töten. Mit dreißig bringt man für die geistlosen Beschäftigungen der Älteren wenig Toleranz auf. Aber er war damals geblieben, weil er sich gedacht hatte, es wäre nützlich für ihn, diese Männer als seine Freunde zu gewinnen. Und seine Bemühungen hatten sich bezahlt gemacht. Aber er war nie wieder auf die Jagd gegangen. Hier, im Labyrinth, sah die Sache jedoch ganz anders aus, selbst mit einem Masse/Zielsuch-Gewehr. Hier war es kein Sport mehr.
3
Bilder spiegelten sich auf einer goldenen Scheibe, die an einer Wand nahe dem inneren Ende von Zone H angebracht war. Rawlins sah, wie sich plötzlich die Züge seines Vaters auf der Scheibe herausbildeten. Sie verschmolzen mit einem unterliegenden Muster aus Streben und Kreuzen und gingen schließlich in Flammen auf. Die Scheibe war auf visuelle Ausstrahlung ausgerichtet. Sie zeigte das, was das jeweilige Auge des Betrachters zu sehen glaubte. Die Drohnen, die hier vorbeigekommen waren, hatten nur eine blanke Scheibe ausmachen können. Rawlins entdeckte, wie ein Mädchen auf ihr erschien. Maribeth Chambers, sechzehn Jahre alt und im zweiten Jahr auf der High School „Maria, die Gnadenreiche“ in Rockford, Illinois. Maribeth Chambers lächelte Ned schüchtern an und begann, sich zu entkleiden. Ihr Haar war sanft und weich wie Seide, ein goldener Glorienschein. Die Augen waren blau und die Lippen voll und feucht. Sie öffnete ihren Büstenhalter und enthüllte zwei feste, hochstehende weiße Kugeln mit flammenden Spitzen. Sie waren groß und standen dicht beieinander, so als sei die Schwerkraft für sie aufgehoben. Das Tal zwischen ihnen war fünfzehn Zentimeter tief und einen halben Zentimeter breit. Maribeth Chambers errötete und entkleidete auch die untere Hälfte ihres Körpers. Sie trug ein winziges Höschen, das die Grübchen über ihrem runden, rosafarbenen Hintern bedeckte. An einer goldenen Kette um die Hüften trug sie ein Elfenbeinkruzifix. Rawlins bemühte sich, nicht auf die Scheibe zu sehen. Der Computer gab ihm den weiteren Weg vor. Gehorsam bewegte er sich.
„Ich bin das Leben und die Auferstehung“, sagte Maribeth Chambers mit rauchiger, leidenschaftlicher Stimme.
Sie winkte ihm zu. Deutete ihm an, wo sie jetzt am liebsten mit ihm hinwollte. Sie flüsterte süße Obszönitäten.
Dreh dich um und komm hierher, du großer Junge, du! Laß mich dir etwas ganz, ganz Tolles zeigen …
Sie kicherte. Sie ließ die Hüften kreisen. Sie zog die Schultern zurück und ließ die Brüste wie Kirchenglocken zur Osternacht baumeln:
Ihre Haut verfärbte sich dunkelgrün. Die Augen wanderten in ihrem Gesicht herum. Ihre Unterlippe schob sich vor, bis sie das Aussehen einer Schaufel gewonnen hatte. Ihre Oberschenkel schmolzen. Ein Flammenmuster tanzte auf der Scheibe. Rawlins hörte tiefe, dröhnende Akkorde von einer unsichtbaren Orgel. Er konzentrierte sich auf das Geflüster des Computers, der ihn leitete und unbeschadet an der Scheibe vorbeiführte.
4
Die Scheibe zeigte abstrakte Muster: die Geometrie der Energie, scharfe, bewegte Linien und eingefrorene Figuren. Charles Boardman blieb einen Moment stehen, um das Bild zu begutachten. Dann setzte er sich
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