Der Mann im Labyrinth
weitergehen.“
„Wenn Sie meinen.“
„Sie werden bald kommen, um uns zu treffen. Mittlerweile sollten sie uns ausgemacht haben. Ihre Massedetektoren zeigen uns sicher schon an. Auf, Ned, kommen Sie.“
Sie erhoben sich. Wieder übernahm Rawlins die Führung.
Zone F war etwas freier, nicht so dicht bebaut. Doch auch hier war die Architektur nicht weniger phantastisch. Von den Gebäuden ging eine ungemütliche Stimmung aus, in der eine bestimmte Note dominant war, die ein Spannungsverhältnis zwischen den einzelnen Objekten hervorrief, die nicht zueinander passen wollten. Obwohl Rawlins wußte, daß die Fallen hier weniger dicht gesät waren, konnte er sich immer noch nicht des Gefühls erwehren, daß der Boden sich jeden Moment unter seinen Füßen auftun konnte. In Zone F war die Luft kühler. Sie trug denselben scharfen Geruch mit sich, wie draußen auf der Ebene. An jeder Straßenkreuzung standen riesige Betontröge, in denen ausgezackte, fedrige Bäume wuchsen.
„Was war für Sie bisher die schwierigste Stelle?“ wollte Rawlins wissen.
„Das Verzerrungsfeld“, antwortete Boardman.
„Das war doch gar nicht einmal so schlimm … außer, wenn man etwas dagegen hat, mit geschlossenen Augen durch so eine gefährliche Gegend zu laufen. Wissen Sie, eines von diesen kleinen Raubtieren hätte uns dort anfallen können. Und wir hätten solange nichts davon bemerkt, bis wir seine Zähne im Nacken gespürt hätten.“
„Ich habe einen Blick riskiert“, erklärte Boardman.
„Im Verzerrungsfeld?“
„Nur einen kurzen Moment lang. Ich konnte einfach nicht widerstehen, Ned. Ich will gar nicht erst versuchen zu beschreiben, was ich gesehen habe. Aber es war eine der sonderbarsten Erfahrungen, die ich je gemacht habe.“
Rawlins lächelte. Er hätte Boardman am liebsten dafür beglückwünscht, etwas so Dummes und Gefährliches, aber auch Menschliches getan zu haben. Doch er traute sich nicht. Statt dessen sagte er: „Wie war das denn? Sind Sie nur dort stehengeblieben, haben sich kurz umgesehen und sind dann weitergegangen? Sind Sie dabei nicht in Gefahr geraten?“
„Nur einmal. Ich vergaß mich und hätte beinahe einen Schritt in die falsche Richtung getan. Aber ich konnte mich im letzten Moment zurückhalten. Ich hielt die Füße fest auf dem Boden und sah mich um.“
„Vielleicht versuche ich das auch einmal auf dem Rückweg“, sagte Rawlins. „Ein kurzer Blick kann ja nicht schaden.“
„Woher wollen Sie wissen, daß das Feld auch nach der anderen Richtung hin wirksam ist?“
Rawlins runzelte die Stirn. „Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Wir haben bisher noch gar nicht versucht, durch das Labyrinth nach draußen zu gelangen. Was ist, wenn dann ganz andere Fallen auf uns warten? Für diese Route besitzen wir weder Karten noch sonstige Unterlagen. Was, wenn wir alle bei dem Versuch umkommen, wieder hinaus zu gelangen?“
„Wir setzen halt wieder Drohnen ein“, sagte Boardman. „Darüber würde ich mir jetzt noch keine Sorgen machen. Wenn es so weit ist, lassen wir einen Trupp Sondierungsroboter ins Camp in Zone F kommen und erproben den Rückweg genauso wie den Hinweg.“
Nach einer Weile sagte Rawlins: „Warum sollte es eigentlich auf dem Weg hinaus Fallen geben? Das hieße doch, die Erbauer des Irrgartens hätten ebenso versucht, Feinde auszuschließen wie sich einzuschließen. Warum sollte jemand so etwas tun wollen?“
„Wer will das wissen, Ned? Es waren schließlich Außerirdische, deren Gedankengänge wir nicht kennen.“
„Ja, deren Gedanken wir nicht kennen.“
15
Boardman erinnerte sich daran, daß die Konversation von seiner Seite noch nicht beendet war. Er bemühte sich um Freundlichkeit. Schließlich waren sie im Angesicht solch tödlicher Gefahren Kameraden. So sagte er: „Und welche Stelle war für Sie bisher die schrecklichste?“
„Jene Scheibe, ein Stück zurück“, sagte Rawlins. „Dort, wo einem das schreckliche, kranke Zeug gezeigt wird, das im eigenen Bewußtsein zu Hause ist.“
„Welche Scheibe meinen Sie?“
„Nahe dem Zentrum von Zone H. Eine goldene Scheibe, die mit Metallbändern an einer hohen Mauer befestigt ist. Als ich hineinblickte, sah ich dort ein paar Sekunden lang die Züge meines Vaters. Und danach ein Mädchen, das ich einmal gekannt habe. Sie ist später Nonne geworden. Die Scheibe zeigte sie, wie sie sich entkleidete. Ich glaube, das sagt einiges darüber aus, was in meinem Unterbewußtsein so vor sich geht, was?
Weitere Kostenlose Bücher