Der Mann im Labyrinth
Mitteln Lösungen zu finden sucht“, sagte Rawlins. „Dem es ganz egal ist, wie groß das Risiko ist oder welche Opfer es kostet, solange er nur für ihn wichtige Daten daraus gewinnen kann – Board …“
Er biß sich im letzten Moment auf die Lippen.
„Wer?“
„Bordoni“, sagte Rawlins. „Emilio Bordoni, mein Epistelmologieprofessor im College. Er hat eine sehr interessante Vorlesung gehalten. Eigentlich ging es dabei um angewandte Hermeneutik, eine Veranstaltung über Lernmethoden.“
„Das ist Heuristik“, bemerkte Muller.
„Bist du sicher? Ich dachte eigentlich …“
„Nein, du hattest unrecht“, erklärte Muller. „Du sprichst nämlich mit einem Experten. Hermeneutik ist die Kunst der Interpretation. Ursprünglich diente sie der skriptalen Interpretation, der Auslegung von Texten also, aber inzwischen hat sich das auf alle Kommunikationsformen erweitert. Dein Vater hätte den Unterschied gekannt. Meine Mission nach Beta Hydri IV war ein Experiment in angewandter Hermeneutik. Es war nicht erfolgreich.“
„Heuristik – Hermeneutik.“ Rawlins lachte. „Nun, jedenfalls bin ich froh, daß ich dir helfen konnte, etwas Neues über die Käfige zu lernen. Meine heuristische gute Tat. Bin ich von der nächsten Runde befreit?“
„Schon möglich“, sagte Muller. Auf unerklärliche Weise war das Gefühl über ihn gekommen, etwas Gutes tun zu müssen. Er hatte fast schon vergessen, wie schön es sein konnte, einem anderen zu helfen oder wenig anstrengende, angenehm unwichtige Konversation zu führen. Er fragte: „Trinkst du manchmal, Ned?“
„Alkoholisches?“
„Ja, das meine ich.“
„In Maßen.“
„Das hier ist sozusagen unsere Hausmarke“, erklärte Muller. „Ein Wässerchen, das irgendwo, tief im Innern dieses Planeten, von mysteriösen, im Dunkel hausenden Zwergen hergestellt wird.“ Er holte von irgendwo eine hübsche Flasche und kelchartige Gläser hervor. Vorsichtig kippte er beide Gefäße halbvoll. „Ich beziehe dieses Gebräu aus Zone C“, erklärte er, während er Rawlins ein Glas reichte. „Es kommt aus einem Springbrunnen. Man sollte es Trinkmilch’ nennen, denke ich.“
„Ja, etwa sechzig Prozent Alkohol. Gott allein weiß, was da sonst noch drin ist. Oder wie und woraus es hergestellt wird. Aber ich mag es gern. Einerseits ist es süß, und gleichzeitig hat es einen Beigeschmack von Ingwer. Aber es zieht mächtig rein. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um eine weitere Falle. Man trinkt sich davon leicht einen unbeschwerten Rausch an … und gerät um so leichter in eine Falle des Labyrinths.“ Er hob sein Glas und prostete Rawlins zu.
„Zum Wohle!“
„Zum Wohle!“
Beide mußten über den archaischen Trinkspruch lachen. Sie leerten die Gläser.
Vorsichtig, Dickie, sagte sich Muller. Du bist auf dem besten Weg, mit diesem Jungen Freundschaft zu schließen. Vergiß darüber nicht, wo du dich befindest. Und warum. Was für ein Typ bist du eigentlich, daß du dich hier so aufführst?
„Darf ich davon etwas ins Camp mitnehmen?“ fragte Rawlins.
„Aber klar doch. Warum?“
„Da ist einer, der dieses Wässerchen sicher zu schätzen weiß. Er ist in dieser und vielen anderen Beziehungen ein Gourmet. Er reist nie ohne seine Hausbar, die sicher hundert verschiedene Schnäpse, Liköre und was weiß ich noch von über vierzig verschiedenen Welten enthält. Es sind so viele, daß ich nicht einmal von allen die Namen weiß.“
„Ist etwas vom Planeten Marduk dabei?“ fragte Muller. „Von den Deneb-Welten? Oder vom Rigel?“
„Ich kann es wirklich nicht sagen. Weißt du, ich trinke ganz gern mal einen. Aber ich bin kein Kenner.“
„Vielleicht hätte dein Freund Lust, mit mir einen kleinen Tauschhandel …“ Muller hielt abrupt inne. „Nein. Nein, vergiß, was ich gesagt habe. Ich werde mich auf nichts einlassen.“
„Du könntest doch mit mir ins Camp kommen“, sagte Rawlins. „Er würde dir sicher erlauben, eine kleine Inspektionsreise durch seine Hausbar zu unternehmen, davon bin ich überzeugt.“
„Sehr geschickt von dir. Nein.“ Muller starrte düster auf sein Glas. „Ich lasse mich nicht übertölpeln, Ned. Mit den anderen will ich nichts zu tun haben.“
„Es schmerzt mich, daß du so denkst.“
„Noch ein Glas?“
„Nein, ich muß mich jetzt langsam auf den Weg ins Camp machen. Es ist schon spät. Es war nicht vorgesehen, daß ich den ganzen Tag hier verbringe. Und sie werden mir die Hölle heiß machen, weil ich heute
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